Ein Technokrat

Russlands neuer Premier Michail Kasjanow ist ein Mann nach Präsident Putins Geschmack: Er äußert sich selten und nur geschäftsmäßig

Russlands neuer, indes noch amtierender Premier Michail Kasjanow genießt den Ruf eines Arbeitstiers. Schon seit einigen Wochen wurde der 42-jährige Politiker als aussichtsreichster Wunschkandidat von Präsident Wladimir Putin gehandelt. Für eine Überraschung sorgte seine Berufung daher nicht. Das würde auch dem Bemühen des neuen Kreml-Herren widersprechen, sich als ein verlässlicher und pragmatisch orientierter Politiker einzuführen. Überdies würden Überraschungen auch schlecht zum Wesen des bisherigen stellvertretenden Vizepremiers und Finanzministers Kasjanow passen.

Der ein wenig unterkühlt wirkende Politiker gehört seit 1995 verschiedenen Regierungsmannschaften an. Sein langes Überleben in der Exekutive verdankt der gelernte Kfz-Ingenieur seiner politischen Zurückhaltung. In politische Grabenkämpfe und ideologische Scharmützel mischte er sich nie ein. Wenn sich Kasjanow äußert, dann zur Sache und geschäftsmäßig. Das wird ihm das Wohlwollen Putins eingebracht haben, der in seiner Umgebung keine exponierten Politiker duldet. Im Gegenteil: Putins Ziel ist es, die Regierungsmannschaft mit tüchtigen Technokraten zu besetzen. Diese Anforderung erfüllt der neue Ministerpräsident geradezu idealtypisch. Missgünstige Mitbewerber nannten ihn daher – in Anspielung an die untergeordnete Rolle des Individuums im Sozialismus – „das Schräubchen im Getriebe“.

Auch im Westen ist Kasjanow seit langem kein Unbekannter mehr. Als Leiter der Delegation, die seit 1993 die Verhandlungen über die Umschuldung sowjetischer Kredite führt, hat er dort den Leumund eines pragmatischen Unterhändlers. Man schätzt ihn. Im Unterschied zu vielen russischen Funktionsträgern spricht Kasjanow fließend Englisch. Ökonomische Kenntnisse erwarb er noch während des Kommunismus. In den Achtzigerjahren arbeitete er in der sowjetischen Planbehörde Gosplan, wo er zum Schluss die Abteilung der außenwirtschaftlichen Beziehungen leitete.

Aus den politischen Streitigkeiten hält sich der „jugendliche“ Premier zwar heraus. Indes eilen ihm Gerüchte voraus, er sei ein einflussreicher Vertreter des Jelzin-Clans und schütze deren Finanzmanipulationen. Er soll engste Kontakte zur Präsidialadministration und den Oligarchen Boris Beresowski und Abramowitsch unterhalten, die die Politik des Kremls seit 1996 nachhaltig in Misskredit gebracht haben. Kasjanow stammt aus Solnzewo bei Moskau und gehört nicht zum Kreis der St. Petersburger Vertrauten, die Putin um sich sammelt. KLAUS-HELGE DONATH