„Gegen jeden Zwangsdienst“

Angelika Beer, bündnisgrüne Verteidigungsexpertin, fordert noch radikalere Reformen als die Zukunftskommission: nur noch 200.000 Soldaten und die Abschaffung der Wehrpflicht

taz: Der Ex-Nato-General Schmückle warnt davor, dass die Bundeswehr künftig auf Knopfdruck überall einsetzbar ist, also zu einer Art Interventionsarmee mutieren könnte. Kann so etwas im grünen Sinne sein?

Angelika Beer: Das ist Quatsch, die Politik muss natürlich immer dafür sorgen, dass solche Truppen nicht missbräuchlich eingesetzt werden. Mit der Struktur der Armee hat das nichts zu tun. Die hohe Zahl der Krisenkräfte beruht auf einer einfachen Rechnung: Wenn man für Einsätze wie jetzt im Kosovo und in Bosnien zwei Brigadestärken rechnet, dann machen die 140.000 die Bundeswehr nur durchhaltefähig in einem länger dauernden Einsatz. „Sechs Monate im Ausland und zwei Jahre Ausbildung und Training im Heimatland“ lautet die Formel dafür. Das Ziel muss natürlich politisch definiert werden.

Wie definieren Sie einen politisch legitimen Einsatzgrund?

Wir wollen keine Angriffskriege à la Golfkrieg. Der Kosovo-Einsatz muss die absolute Ausnahme bleiben. Dann müssen wir das Völkerrecht weiterentwickeln für friedenserhaltende Einsätze: Der Begriff „humanitäre Intervention“ erspart die politische Definition der Einsatzkriterien nicht. Diese Lücke wollen wir auf jeden Fall schließen.

Das Papier der Kommission findet also Ihren vollen Beifall?

Es ist das erste der vielen Konzepte, das wirklich Reform verspricht und sich nach den politischen Rahmenbedingungen richtet: Es verzichtet auf Landesverteidigung, die wir nicht mehr brauchen. Und es ist das einzige Konzept, das finanzierbar ist. Negativ ist, dass immer noch halbherzig an der Wehrpflicht festgehalten wird. In der kommenden Woche werden wir Grüne unsere Position zur Struktur von Bundeswehr und Zivildienst vorstellen.

Wo liegen die Differenzen zum Konzept der Wehrstrukturkommission?

Wir wollen die Reform der Bundeswehr einbetten in eine Reform der präventiven Außen- und Sicherheitspolitik. Der Schwerpunkt liegt auf der Prävention. Wenn man das auch noch finanzieren will, heißt das, man muss die Truppenstärke radikal reduzieren: Ich denke, dass wir in einem Zeitraum von 10 Jahren auf 200.000 Mann kommen sollten.

Damit ist auch der Zivildienst passé.

Wir wollen die Konversion des Zivildienstes. Es soll mehr Möglichkeiten geben, freiwillige soziale und ökologische Dienste zu leisten, aber wir sind gegen jeden Zwangsdienst.

Da werden die Träger im sozialen Bereich jammern.

Die Zivildienstleistenden sitzen ja auf einer Menge regulärer Arbeitsplätze für gut qualifizierte Menschen. Wir wollen in Arbeitsplätze investieren und nicht in Arbeitslosigkeit.

Interview: HEIDE OESTREICH