Einberufung aus der Lostrommel

Die Wehrstrukturkommission schlägt vor, künftig nur noch 30.000 Wehrpflichtige einzuziehen. Bundeswehr soll schnelle Profitruppe werden

aus Berlin TINA STADLMAYER

Nur noch ein winziger Teil eines jeden Jahrgangs muss zum Militärdienst, die Bundeswehr soll sich in eine international einsatzfähige Profitruppe verwandeln. Das sind die wesentlichen Vorschläge der „Zukunftskommission“ der Bundeswehr unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU). Nach dem 100-seitigen Abschlussbericht sollen die Streitkräfte völlig umgemodelt werden.

Damit geht die Kommission weiter, als Verteidigungsminister Rudolf Scharping lieb sein dürfte. Nach Informationen der Zeitung Die Welt hat von Weizsäcker die Vorschläge seiner Kommission jedoch bereits mit Bundeskanzler Schröder abgesprochen.

Oberstes Ziel: Krisenvorsorge

Nach den Vorstellungen der Zunkunftskommission soll der Bundeswehr-Truppenstärke deutlich von derzeit 320.000 Soldaten auf 240.000 reduziert werden. Gleichzeitig bilden die Wehrpflichtigen nur noch einen kleinen Anhang von 30.000 Mann. Bislang schieben beim Bund 134.000 Wehrpflichtige Dienst. Anstelle der zur Zeit eingeplanten 50.000 Soldaten für Kriseneinsätze sollen „Einsatzkräfte“ mit 140.000 Soldaten geschaffen werden. Wichtigstes Ziel der Kommission ist es, „die Bundeswehr nach Umfang, Struktur, Bewaffnung und Ausrüstung auf die wahrscheinlichsten Einsätze der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung vorzubereiten“.

Die Wehrpflicht bleibt dem Bericht zufolge bei zehn Monaten. In ihrem Zwischenbericht vom März dieses Jahres hatte die Kommission noch vorgeschlagen, den Wehrdienst von zehn auf vier Monate zu verkürzen. Scharping soll eine Verkürzung auf sechs Monate angeregt haben. Die militärische Führung und Unionspolitiker hatten dagegen heftig protestiert.

Bei einer Wehrdauer von zehn Monaten und 30.000 Wehrpflichtigen muss von einem Jahrgang nur noch der kleinste Teil zur Bundeswehr. Damit ist die allgemeine Wehrpflicht so gut wie abgeschafft. Um die Wehrgerechtigkeit zu erhalten, soll das Los entscheiden, wer eingezogen wird. Ein solches Verfahren war immer mal wieder im Gespräch, wurde aber wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bisher verworfen. Der Sold soll nach den Vorstellungen der Kommission erhöht werden. Denn: „Wer diesen Dienst leistet, soll dafür eine höhere Kompensation erhalten.“ Auch bei der zivilen Verwaltung will die Kommission kürzen: Die Stellen sollen von 140.000 auf 80.000 reduziert werden. Im Einvernehemen mit Scharping schlägt die Kommission noch eine Revolution vor: Frauen sollen künftig eine „gleichberechtigte Zulassung“ zu den Streitkräften erhalten. Weitere einschneidende Veränderung: Die Kompetenzen des Generalinspekteurs werden erheblich erweitert. Er soll Einheiten und Verbände auch beim Einsatz führen. Die Chefs von Heer, Luftwaffe und Marine würden damit entmachtet. Außerdem sollen alle zentralen Abteilungen des Verteidigungsministeriums von der Bonner Hardthöhe nach Berlin umziehen.

Mehr Geld für weniger Soldaten

Bei der künftigen Rüstungsplanung müsse der Schwerpunkt auf Zukunftstechnologien gelegt werden. Die Kommission schlägt außerdem eine Erhöhung des Verteidigungsetats vor. Er liegt zur Zeit bei 45,3 Milliarden Mark und sollte nach Scharpings bisherigen Plänen bis 2003 auf 43,7 Milliarden sinken. Verteidigungs- und Außenministerium wollten sich gestern noch nicht zu den Plänen der Kommission äußern.

Ein vom Generalsinspekteur der Bundeswehr, Hans-Peter von Kirchbach, präsentiertes „Eckwertepapier“ beinhaltet die moderate Verringerung der Bundeswehr auf 290.000 Soldaten. Dieser Entwurf sieht jedoch auch die Verkürzung des Wehrdienstes von zehn auf neun Monate vor. Die Zahl der Wehrdienstleistenden will der Generalinspekteur ebenfalls reduzieren – allerdings weniger radikal als die Zukunftskommission: Von 134.000 auf 84.000 (statt auf 30.000). Scharping wird sich voraussichtlich für eine Lösung stark machen, die zwischen den Vorschlägen der Zukunftskommission und denen des Generalsinspekteurs liegt. Dies würde eine Reduzierung der Zahl der Wehrpflichtigen auf etwa 55.000 bedeuten. Auch bei der Frage der künftigen Größe der Bundeswehr wird es einen Kompromiss geben. Der Verteidigungsexperte der SPD-Fraktion, Volker Kröning, setzt sich für eine Truppenstärke von 250.000 Soldaten ein. Allerdings gibt es dazu in der SPD noch keine einhellige Meinung. Die Unionsparteien wehren sich heftig gegen eine drastische Verkleinerung der Bundeswehr. Die FDP plädiert für eine Reduzierung auf 260.000 und eine drastische Verkürzung des Grundwehrdienstes. Die Grünen wollen den Wehrdienst komplett abschaffen und eine Freiwilligenarmee einführen.