Weltliteratur im Jackett

Mensch, Leute, das war noch was: Damals, als der alte Rowohltund seine Lektoren die Deutschen endlich wieder das Lesen lehrten

BERLIN taz ■ Ja, liebe Kinder, meine Eltern sprachen sogar noch von den Rotationsromanen: auf Zeitungspapier, „für Fennichbeträge“, jederzeit mitzunehmen, transportfreundlich, in Fortsetzungen: Das war noch was! – Die Zeitungen hat man natürlich weggeschmissen, als wieder Bücher gedruckt werden konnten, richtig was in der Hand. Wären heute sicher ein Vermögen wert; das heißt, man müsste sie entsäuern lassen, wenn sie nicht schon zerfallen wären, Staub & Asche, nicht einmal eine Hand voll, ihr wisst schon.

Oder wisst ihr nicht? Evelyn Waugh ist wie endgültig aus der Mode, trotz Verfilmungen von Zimmern mit Aussicht und allerlei Wiedersehen, also der Arbeit von Kollegen, die seine keineswegs überragte. Traf jetzt gerade einen der besten Schauspieler des Landes, freundlicher Mann, kluger Mann, belesener Mann, schwärmte von Thomas Mann & Botho Strauß & Doderer, hat’s also mit den Gesellschaftsbitteren, den Anspruchsvollen, dem Hochmut in der Prosa – und hält Evelyn Waugh, soweit der Name überhaupt in Betracht kommt und durch sein dämmerndes Erinnern schimmert, natürlich für eine Frau! Und bei der Erwähnung von „Einer Hand voll Staub“, da stiehlt sich nur eine ganz kleine Falte auf seine rundliche Stirn, und er murmelt, während der Rauch seine Wölkchen bildet, „da war doch was, da war doch was . . .“ „Alec Guinness, Mann!“, zische ich beschwörend, stoße meinerseits Rauch aus und beschwöre weiter, „der übrigens auch ein tolles Buch geschrieben hat, seine Erinnerungen, noch lieferbar, aber das nur nebenbei – Sie werden doch Alec Guinness gesehen haben, in dieser Verfilmung, wo er den Halbwilden spielt, am Amazonas, der diesen Engländer aus den ersten Kreisen zum Dickens-Vorleser abrichtet und ganz gemütlich mit der Hinrichtung bedroht, wenn der zu lesen aufhören will – das müssen Sie doch gesehen haben!“ Er murmelt, ja, ihm komme da was, aber ich bin beinahe sicher, er hat nun auch ein bisschen Angst vor mir, er würde keinesfalls zugeben, dass er nicht nur den Autor nie gelesen, sondern auch diese berühmte Verfilmung usw.

„Mann!“, sage ich nun mit entsetzter Verwunderung, „Sie sind doch auch nicht jünger als ich, wann haben Sie denn zu lesen begonnen? In Ihrer Jugend, da gab’s die doch noch, diese fantastischen Taschenbücher, ganz eng bedruckt, das reine Augenpulver, da passte Weltliteratur in jedes Jackett, und der alte Rowohlt hat alles, alles nachgeholt, was die Deutschen nicht lesen durften, was verbrannt wurde, versteckt wurde, ins Ausland verscherbelt wurde – und hat die Moderne dazugenommen; das meiste, was wir wissen und was nach Georg Büchner kam, verdanken wir doch diesem witzigen kleinen Mann und seinen Lektoren, den Arbeitern an den sieben Toren von Reinbek: Hemingway und Sartre und Faulkner, Camus und Sinclair und Lewis, der ganze Kram! Und eben Evelyn Waugh . . .“

„Ich muss mir den Namen aufschreiben“, murmelt der Mann jetzt endlich, „haben Sie einen Bleistift?“

So war das erst vor vier Tagen, liebe Kinder. Und heute wird rororo fuffzich!

ELKE SCHMITTER