das geiseldrama
: MORALISCHER ZWIESPALT

Die Geschichte erinnert an das Geiseldrama von Gladbeck vor zwölf Jahren. Entführer nehmen Geiseln, veschleppen sie und laden anschließend die Presse zum Lokaltermin. Die Bilder geschwächter und leidender Touristen, die Journalisten jetzt aus einem Urwaldcamp auf den Philippinen mitbrachten, lassen frösteln. Sie rufen geradezu nach einer erneuten Diskussion über die moralischen Grundsätze journalistischer Arbeit.

Ist es nicht zynisch, als Reporter in das Geisellager zu marschieren, ein paar Minuten Elend aufzunehmen und anschließend wieder unbehelligt zu verschwinden, während die Geiseln zurückbleiben müssen? Haben sich die Reporter nicht zum Instrument der Entführer machen lassen? Ist es nicht Sensationsjournalismus, die Bilder der Bedrängten weltweit über die Bildschirme flimmern zu lassen, ja damit sogar Geld zu verdienen?

Die Antwort auf alle diese Fragen lautet „Ja, aber . . .“ Natürlich dienen die Journalisten den Entführern als Boten. Die Bilder der flehenden Geiseln untermauern ihre Entschlossenheit. Das brutale Spiel mit dem Leben einer schwer kranken Frau garantiert ihnen weltweite Öffentlichkeit. Aber die Journalisten bilden auch die einzige Verbindung der Opfer zur Außenwelt, geben ihnen das Gefühl, nicht gänzlich vergessen zu sein.

Journalisten in Krisensituationen werden häufig selbst Teil der Geschichte. Das kann negative Folgen haben, wie in Gladbeck. Das kann aber auch positiv sein, wenn Korrespondenten – wie im Kosovo geschehen – Flüchtlingen bei der Suche nach Angehörigen helfen. „Gebt den Journalisten doch wenigstens die kranke Frau mit“, appellierte eine Ärztin angesichts der Reporter an die Kidnapper. Die verzweifelte Bitte offenbart das Dilemma der Berichterstatter.

Im Entführungsfall auf den Philippinen haben die Reporter zumindest eines erreicht: Sie haben den „Rat“ der Regierung an Journalisten widerlegt, den Entführern fernzubleiben, weil diese auch die Verschleppung von Reportern planten. Was die Armee auf Jolo anstellen würde, wären keine Beobachter dort, lässt sich angesichts der letzten blutigen Geiselbefreiungen erahnen. Verluste unter den Entführten werden billigend in Kauf genommen, wenn nur die Entführer dran glauben müssen. Möglicherweise haben die Bilder der Geiseln deren Leben ein bisschen weniger unsicher gemacht. Grund genug für den Besuch im Dschungel.

THOMAS DREGER