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Plattners Traum

Hasso Plattner läutet ein neues Universitäts-Zeitalter ein. Der Chef des Global Players SAP steckt 125 Millionen in Potsdams Informatik. Die Havel als Erholungsraum für Software-Architekten

aus PotsdamMANUELA THIEME

Potsdam ist nicht Amerika. Hasso Plattner weiß das natürlich. Trotzdem will der Mitbegründer des erfolgreichsten deutschen Softwareunternehmens SAP das Gegenteil beweisen. Das Hasso-Plattner-Institut, das seit April 1999 seinen Namen trägt, ist eine bildungspolitische Sensation. Der Software-Mogul steckt 125 Millionen Mark seines Vermögens in den Studiengang.

In den USA sei solch eine Stifterfreude „völlig normal“, ließ der Schwerverdiener mit einem Augenzwinkern wissen. Angesichts der 50 Millionen Mark, die Bundeskanzler Gerhard Schröder gerade für alle Informatik-Fachbereiche der Republik versprochen hat, wird die Dimension der Plattner-Investition in Potsdam erst richtig deutlich.

Als Kind segelte Hasso Plattner gern auf der Havel. Auf seinen Bootsausflügen hat sich der Berliner Junge einst in die benachbarte Stadt mit ihren Schlössern und Gärten verliebt. Seine Rückkehr begründete er schmeichlerisch, es sei „ein Privileg der Geistesarbeiter, sich dort anzusiedeln, wo es am schönsten ist“. Sein vieles Geld gibt der Großsponsor via Stiftung für einen „weltweit einmaligen Studiengang“ aus. Mit der „Softwaresystemtechnik“ soll eine ganz neue Ingenieurdisziplin etabliert werden. Das HPI bietet nur die internationalen Abschlüsse Bachelor und Master an.

Noch hat man eine provisorische Adresse am Stadtrand. Im Oktober zogen die ersten 78 Studenten in ein futuristisches Gebäude zwischen Havelufer und Kiefernwäldchen. Geräumige Tiefgarage, eigene Kaffeeküche, komfortable Drehsessel – verglichen mit sonstigen Bedingungen an deutschen Hochschulen lebt der akademische Nachwuchs hier auf Fünf-Sterne-Niveau. In den Seminarräumen liegen Teppiche aus, die Computerarbeitsplätze sind topmodern eingerichtet. Pentium-III-Geräte von Dell, die Marke ist in der IT-Branche momentan sehr angesagt, sind hier Standard.

Bei den Systemtechnikern dreht sich jedoch längst nicht alles um die Rechner. „Wir bilden hier keine Bildschirmsklaven aus“, beschreibt Institutsdirektor Siegfried Wendt das monitorfreie Selbstverständnis, „bei uns lernen die Studenten, Informationsprozesse darzustellen und zu veranschaulichen.“ Ein simpler Stift ist folglich Titelheld des hauseigenen Werbehefts.

Professor Wendt, ein langjähriger Gefährte Plattners, erklärt den entscheidenden Unterschied zur Informatik so: „Wenn man den Programmtext von Großsystemen heute ausdrucken würde, wären das meterhohe Papierstapel. Da findet sich keiner mehr zurecht. Gebraucht werden deshalb dringend modellartige Beschreibungen.“ Ziel ist es, Standardisierungen zu entwickeln, wie sie im Maschinenbau oder im Bauwesen längst existieren.

Die HPI-ler, wie sie sich selber nennen, haben ein Lieblingsbild, mit dem sie ihre Wissenschaft plausibel machen. „Man kann es gut mit einem Hausbau vergleichen. Die Programmierer sind die Leute fürs Detail. Zum Beispiel die Maurer, die die Wände setzen. Die Systemtechniker aber sind die Architekten. Wir koordinieren alles, haben den Überblick und müssen das Problem erkennen.“

„Die denken, dass wirwas Besseres sind“

Die Informatiker von der Uni Potsdam hören solche Vergleiche nicht gern. Und lassen die HPI-ler die Distanz auch spüren. „Die ganze öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich auf uns, das schmerzt sicher“, erklärt sich HPI-Dozent Peter Tabeling gewisse Unverträglichkeiten. In den ersten drei Semestern läuft die Ausbildung fast synchron mit den normalen Potsdamer Informatikern. „Da kommen schon mal komische Bemerkungen“, erzählt Studentin Tina Richter, „die denken, dass wir uns als was Besseres fühlen.“

Elitebewusstsein gibt es bisher trotzdem nicht. Die Auswahl erfolgte nach Numerus clausus. Bei einem Bewerberverhältnis von eins zu zwei war die Hürde nicht sehr hoch. Bald will sich das HPI seine Studenten selbst auswählen. „Was wir hier brauchen, sind Leute mit Kommunikationstalent, denn es geht ja ums Vermitteln und Moderieren von Prozessen“, so Dozent Tabeling. Gesprächsfreude ist künftig Prüfungsfach.

Der erste Jahrgang ist eine fröhliche, motivierte Truppe. Die Baumeister des Cyberspace sind weder modische Wichtigtuer mit Sonnenbrillen, Handys und Energiedrinks, noch gehören sie zur Tüftler-Fraktion, die sich wortlos durchs Leben bewegt.

„Das Klima ist fast familiär. Wir können jederzeit zu den Wissenschaftlern gehen, sie sitzen ja gleich nebenan auf dem Flur“, sagt Informatikstudent Sebastian Schenk. Das Plattner-Team ist, vom Direktor abgesehen, weitgehend im Absolventenalter. Das macht die Verständigung umso leichter.

Das Institut als große Wohngemeinschaft ist Teil des Konzepts. „Wir wollen hier den amerikanischen Stil pflegen“, bestätigt HPI-ler Tabeling. „Gelernt wird in Gruppen, es gibt verschiedene Teams, Arbeitsergebnisse werden gemeinsam präsentiert und ausgewertet.“

Bei dem Grundprinzip will man auch bleiben, wenn die Studentenzahlen steigen. Jährlich sind 80 Neuzugänge eingeplant. Ende 2001 soll ein eigener kleiner Campus bezogen werden. 25 Millionen der Plattner-Spende fließen in den Neubau. Die restlichen 100 Millionen Mark sind Stiftungskapital, das den Institutsbetrieb finanzieren soll.

Für den künftigen Standort des Instituts mit seinem Namen hat Plattner eine Stadtrandidylle mit viel Wasser und reichlich Bäumen ausgesucht. Ruhe und Beschaulichkeit gehört zur amerikanischen IT-Lebensart, die Hasso Plattner Potsdam-tauglich machen will. Was das legendäre Silicon Valley nahe San Francisco ist, soll die Havellandschaft für das Plattner-Institut werden: ein Tummelplatz für kreative Software-Experten.

Doch während das große Vorbild berühmt ist, hat sich die Existenz des HPI in Deutschland noch kaum herumgesprochen. Die ersten Studenten kommen aus der Region. Nur der eine oder andere hat dank Zeitungsberichten den Weg aus Flensburg, Köln oder Koblenz nach Potsdam gefunden. „Bisher habe ich die 600 Kilometer Anreise noch nicht bereut“, berichtet etwa Simon Staiger aus Stuttgart. Kaiserslautern oder Karlsruhe als Hochburgen für Computertechnologie-Studien hätten für ihn deutlich näher gelegen. Doch ihn reizte die Systemtechnik – und Berlin. „Wir haben Glück“, freut sich Steiger. „Weil die HPI-Vorlesungen derzeit nur nachmittags stattfinden, kann ich mich ins Nachtleben stürzen.“ Start-ups finden vorläufig nur in Berlins Clubs statt.

Der IT-Praxisbezug muss per Lehrplan organisiert werden. Ein ganzes Semester wurde für Betriebspraktika vorgesehen. Auch Auslandsstudien soll es geben. Mit den US-Unis Berkeley und Stanford gibt es genauso Absprachen wie mit künftigen Industriepartnern. Fest stehe, so wird betont, dass Plattners SAP keine Sonderrolle spielen wird. „Wir sind keine Berufsakademie und auch kein SAP-Labor“, versichert Institutsdirektor Siegfried Wendt. Geld- und Namensgeber Plattner selbst tritt am HPI praktisch nicht in Erscheinung.

Vielleicht lassen sich die Studenten vom amerikanischen Pioniergeist ihres Förderers trotzdem anstecken. Plattners Buch „Dem Wandel voraus“ steht fast in jedem Regal. Langfristig rechnet der Unternehmer auf jeden Fall mit „seinen“ Absolventen. Gemeinsam mit Siemens und IBM will SAP einen großen High-Tech-Firmenpark in Potsdam gründen. Und da Berlins und Brandenburgs Hochschulen derzeit Heerscharen von Informatikern ausbilden, ist der Traum vom Havel-Valley vielleicht doch nicht nur reine Utopie.

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