Rover zum Schnäppchenpreis

Der bayrische BMW-Konzern verkauft Rover für symbolische 33 Mark und legt sogar noch einen Milliardenzuschuss drauf. Die Briten jubeln

von DOMINIC JOHNSON

Für die britische Labour-Regierung ist es die erste gute Nachricht seit Wochen: Das Autowerk Longbridge im mittelenglischen Industrierevier um Birmingham wird nicht geschlossen, 20.000 Arbeitsplätze im Werk und in Zulieferfirmen sind gerettet. Indem BMW seine britische Tochter Rover an Phoenix verkauft, saniert es nicht nur sich selbst, sondern auch die Labour-Regierung von Tony Blair und insbesondere ihren Industrieminister Stephen Byers, der eigentlich schon auf der Abschussliste stand.

Gestern früh um neun Uhr übernahm das Phoenix-Konsortium die Verantwortung für die Produktion, Entwicklung und Vermarktung von Rover-Autos in Großbritannien. Eine halbe Stunde vorher hatten BMW-Chef Joachim Milberg und Phoenix-Chef John Towers in einer Londoner Kanzlei die entsprechenden Verträge unterzeichnet. Ganze zehn Pfund (33 Mark) hat BMW dafür bekommen – und das bayrische Unternehmen legt noch 500 Millionen Pfund (1,65 Milliarden Mark) drauf, um die Kosten von Entlassungen und Umstrukturierungen zu decken. Denn etwa 2.000 Arbeitsplätze werden in Longbridge verschwinden.

Doch bei der inzwischen geplatzten Übernahme durch die Venture-Kapitalisten von Alchemy wären es wohl doppelt so viele gewesen, und ohne Verkauf hätte BMW Longbridge Ende Mai ganz geschlossen. Das drohende Aus für das traditionsreiche Werk hatte in den letzten Wochen zur lautstärksten Kampagne britischer Gewerkschaften seit Labours Amtsantritt vor drei Jahren geführt – mit Massendemonstrationen gegen Labours Untätigkeit und einem von einer patriotischen Solidaritätswelle getragenen Verbraucherboykott gegen BMW. Bei den Kommunalwahlen in der vergangenen Woche hatte Labour in der Region starke Verluste hinnehmen müssen und sogar die Mehrheit in der traditionellen Arbeitergemeinde Solihull eingebüßt.

Das Geschäft zwischen BMW und Phoenix kam zu Stande, nachdem die US-amerikanische First Union Bank, die sechstgrößte Bank der USA, Phoenix einen verzinsten Kredit von 200 Millionen Pfund (660 Millionen Mark) gab. Die britischen Gewerkschaften waren gestern überglücklich. „Dies ist eine wunderbare Nachricht“, sagte Ken Jackson, Generalsekretär der Ingenieursgewerkschaft AEEU. „Sie rettet Tausende Arbeisplätze und gibt Longbridge eine sichere Zukunft.“ In Longbridge selbst gab es Hupkonzerte zur Feier. Anderswo wird die Freude möglicherweise kleiner sein. Als Teil der Vereinbarung wird ein Teil der Rover-Produktion aus Cowley bei Oxford nach Longbridge verlagert.

Die britische Regierung griff in ihrer Reaktion zu ihrem inzwischen typischen Labour-Spagat: Das Ausbleiben einer aktiven Industriepolitik wurde zum besonderen eigenen Beitrag zur Realisierung eines politisch gewünschten Ziels umdefiniert. Industrieminister Stephen Byers sagte, er habe Towers und BMW vor drei Wochen zusammengebracht und sei damals dafür kritisiert worden. Es habe aber keine staatlichen Beihilfen gegeben. Zugleich sei die Regierung bereit, rund 120 Millionen Pfund (etwa 400 Millionen Mark) für die betroffene Industrieregion zur Verfügung zu stellen.

Verschiedene Kommentatoren wiesen darauf hin, dass der Verkauf von Rover an Phoenix erst der Anfang einer Sanierung der angeschlagenen britischen Autoindustrie ist. Phoenix wird erhebliche Investitionen machen und möglicherweise den Großteil der Rover-Marken völlig erneuern müssen. Nach Angaben von Byers wird das Konsortium jetzt versuchen, dafür einen größeren Partner zu finden. „Sie wollen in zwei bis drei Jahren ein Joint-Venture mit einem großen multinationalen Unternehmen eingehen“, sagte der Minister dem TV-Sender Sky. Ob die jetzt geretteten Arbeitsplätze dann immer noch gerettet sind, wagt heute niemand vorherzusagen.

Zunächst kann Phoenix auf die Solidarität der britischen Autokäufer hoffen. Die jüngsten Rover-Absatzzahlen sind erstaunlich: Im April stiegen die Verkäufe um 116,5 Prozent, so dass Rover einen Marktanteil von fast 13,5 Prozent erreichte und damit hinter Ford an zweiter Stelle lag. Wäre das immer so gewesen, hätte es all die Probleme nie gegeben.