Beherzte Freigeister

The Flaming Lips zwischen freundlichem Indie-Rock und Sound-Experimenten  ■ Von Holger in't Veld

Da steht sie im Regal und staubt still vor sich hin. Ab und zu sieht sie mich mit stummem Vorwurf an. Sie ist eine dicke Doppel-CD-Verpackung, gefüllt mir vier Tonträgern und nie gehört. Zumindest nie richtig gehört. Dabei besitze ich mittlerweile vier CD-Player, nur das mit den vier Boxenpaaren haut noch nicht hin und selbst wenn, würde mir der richtige Raum (nicht unter 30 Quadratmetern) fehlen. So wie mir dürfe es auch den anderen 167 Käufer einer der irrsinnigsten Veröffentlichungen des letzten Jahrzehnts gehen.

Mit Zaireeka setzten die auch vormals schon um ihrer Experimentier-Freude gefürchteten The Flaming Lips 1997 den etwa 20 Jahre verspäteten Höhepunkt einer längst verschwunden geglaubten Zeit der progressiven Sound-Exzesse. Damals war Quadrophonie das (äußerst kurzlebige) große Thema, an dass das Trio um Wayne Coyne mit ihrer posthumen Über-Affirmations-Produktion erinnert. Dazu haben sie die Spuren ihres freundlich-freigeistigen Indie-Rocks in vier Segmente unterteilt, die dann auf jeweils eine CD gebrannt wurden. Das komplette Werk erschließt sich demnach nur mit der oben genannten und für den Heimkonsumenten äußerst umständlich zu realisierenden Methode.

Immerhin: hat man erstmal die gute Stube mit Boxen und Abspielgeräten vollgestellt, dann ergeben sich einige unterhaltsame Möglichkeiten. Um beispielsweise für die ultimative Zaireeka-Erfahrung in Stimmung zu kommen, empfehle ich eine Kombination aus frühen Sun Ra-Aufnahmen von hinten, etwas Primal Scream von links, wahlweise Van Dyke Parks oder auch Beatles von rechts sowie ein beliebiges Chicagoer Instrumental-Projekt von vorn. Der Noise, den The Flaming Lips auch gern mal exerzieren, ergibt sich dabei automatisch. Trotz dieser in der intendierten Form noch viel opulenteren Erfahrung dürfte die aktuelle Veröffentlichung einer ganz normalen Stereo-CD in der Fangemeinde (ausnahmslos Bewusstseinserweiterungs-affine Romantiker) mit gewisser Erleichterung aufgenommen worden sein. Man will ja auch manchmal wie bei The Soft Bulletin nur entspannt hören und an einer Pfeife saugen.

Ein Projekt wie Zaireeka hat natürlich einen Kontext. Seit immerhin 17 Jahren verfolgt die Gruppe aus Oklahoma, die eher an ein offenes Künstlerprojekt denn eine geschlossene Rock-Einheit erinnert, ihren kauzigen Kurs, der sich mit Do-It-Yourself-Attitüde an Pink Floyd und anderen Punk-Antipolen delektiert. So zogen Coyne und seine Gang zwischen den Alben mit einem nochmals gigantomanischeren Audio-Konzept durch die USA. Auftrittsorte waren Parkplätze, Soundquellen möglichst viele Auto-Anlagen, die sich zu einer mehr oder weniger dirigierten Kakophonie vereinten. Für Fußgänger wiederholten sie diesen Ansatz durch eine Bündelung von 40 Ghettoblastern, für die Coyne ebenfalls jeweils unterschiedliche Tapes produziert hat.

Um Missverständnisse zu vermeiden: The Flaming Lips sind weder besonders berühmt noch reich. All ihre kreativen und durch mühevolle Kleinarbeit realisierten Grenzüberschreitungen künden von Humor, Idealismus und ganzheitlichem Blick. Um ihre Sound-Vorstellungen auch in einem banalen, geradeaus von der Bühne gespielen Konzert zu realisieren, verteilt die Band auf ihrer aktuellen US-Tour Empfänger und Kopfhörer, über die mit Hilfe eines mitgebrachten Radiosenders das volle Klangerlebnis gefunkt wird. Deutschen Pilzfreuden bleibt dieses Spektakel aus finanziellen und bürokratischen Gründen vorenthalten, hier werden lediglich computergesteuerte Projektionen die Performance versüßen. Für den Rest seid ihr laut Wayne Conye selbst verantwortlich: „Bring hand puppets and / or wear costumes to the shows! Ray guns, moon jumps, balloons, flowers, whatever... Go wild and enjoy yourselves!! Make it an event!“

mit Home: Mo, 15. Mai, 21 Uhr, Grünspan