Effe kauert auf der Alu-Kiste

Nur 2:1 wegen zu großer Abhängigkeit von einem Muskel: Nach dem Champions-League-Aus gegen Madrid beginnt beim FC Bayern ein Streit um Geld, Personalpolitik und neue Effenberge

aus München THOMAS BECKER

Es war kurz nach elf, als Stefan Effenberg im Freizeitgewand aus der Umkleidekabine trat. Der Blick ernst, die Stirn ausnahmsweise faltenlos. Viel zu müde, um den Zornigen oder Gefrusteten zu geben. Armer Effe: so viel gerannt, so viel geschrien, gewonnen und doch verloren. Nix Finale in Paris, am Samstag geht’s nach Bielefeld. Ein großes, weiches Ledersofa wünscht man ihm. Reinsetzen und alles baumeln lassen. Aber die Journalisten harren der Worte des Dominators, der immer mehr wie Boris Becker aussieht.

Also tut der Chef seine Pflicht. Zuerst zum Champions-League-Sender, der gerade sein letztes Spiel mit deutscher Beteiligung übertragen hatte. Der Moderator reicht mit Leichenbittermiene die Hand, als wolle er kondolieren und nicht begrüßen. Effe holt tief Luft und setzt sich erst mal auf eine Alu-Kiste. Bleibt da unten. Guckt ein Luftloch nach dem anderen. Steht nicht mehr auf. Zwangsläufig muss der Reporter auch hinab, fast auf die Knie, um dem müden Star das Mikro vor die Nase halten zu können. Raúl, Redondo, McManaman, die glücklichen 1:2-Verlierer von Real Madrid (Hinspiel 2:0), reden im Stehen, der FC Bayern kauert eine Etage tiefer.

Die totale Erschöpfung. Schon auf dem Platz war sie nicht zu verbergen, vor allem bei Stefan Effenberg nicht. Was er auch zugab. „Mitte der zweiten Hälfte hab ich nur noch Sternchen gesehen.“ Immer wieder schlappte er zur Seitenlinie, Richtung Trinkflasche, um sich noch mal zum nächsten Angriff aufraffen zu können – alles vergebens. Ein ausgeruhter Effenberg hätte die zwei Großchancen kurz vor dem Schlusspfiff wohl locker im Tor untergebracht. Der müde Effenberg schoss zweimal drüber.

Selten in der Geschichte des FC Bayern München hing das Wohl und Wehe so stark von einem einzigen Spieler ab. Stinksauer war der Kapitän, als ihn sein Trainer beim Berliner Pokalfinale zehn Minuten vor Schluss auf die Schon-Bank beorderte. Der gerade erst genesene Regisseursmuskel hätte ja zumachen können, so Hitzfelds Horrorszenario. Und noch mal ohne den als Heilsbringer gefeierten Effe gegen Real – da hätte man doch gar nicht erst anzufangen brauchen.

Wie der personifizierte Wille wirkte der 31-Jährige, der sich in jüngeren Jahren schon mal eine Tigerfratze in den Hinterkopf frisieren ließ. Doch dann kamen die Sternchen. Die Schrittfrequenz sank rapide, Flanken und Eckbälle wurden immer kürzer, leicht zu berechnen für Reals unsichere Defensive. Eine Pause hätte er gebraucht: Wechseln, Hitzfeld! Tat er auch: Fink kam, Salihamidzic kam, Santa Cruz kam. Effenberg blieb. Zu ihrem Effe hat der FC Bayern keine Alternative.

Und hier beginnt nun der Streit. Über die Zukunft wird bald debattiert werden. Die Kontrahenten: Ottmar Hitzfeld, Trainer, und Uli Hoeneß, Manager. Um die Einkaufspolitik des Vereins wird es gehen. Ein Thema, das von den Verantwortlichen jetzt noch kurz abgebügelt wird. Aber spätestens in zweieinhalb Wochen wird es laut werden an der Säbener Straße. Die Spieler sind dann im Urlaub, Markus Babbel wird erst gar nicht mehr zurückkommen, und Hitzfeld und vor allem Hoeneß reden sich die Köpfe rot. Der eine sagt: Wenn wir bei dieser unseligen Vielspielerei mit 60 Pflichtmatches pro Saison national und international vorne dabei sein wollen, müssen wir den Kader gehörig verstärken. Und da muss man auch mal 30, 40 oder 50 Millionen für einen Spieler ausgeben. Der andere sagt: Nix da, das würde unser jahrelang praktiziertes Personalkonzept inkl. Gehaltsgefüge über den Haufen werfen. Diesen Millionenwahnsinn mache ich nicht mit. Basta.

Wie geht es weiter mit dem FCB? Wird es einen Acht- oder Zwölf-Millionen-Ersatz-Babbel geben oder einen richtigen Flügelflitzer, der auch Flanken schlagen kann? Wird es einen Effe II geben, der einspringt, wenn beim Meister selbst mal ein Muskel schließt, oder wird Hitzfeld mit FinkSchollSalihamidzicTarnat weiter notnageln müssen, ob gegen Unterhaching oder Madrid?

Beispiele, dass Erfolg nicht käuflich ist, gibt es zuhauf: Inter Mailand, Atlético Madrid, Lazio Rom. Auch Real machte so seine Erfahrungen: 60 Millionen Mark gab man für den jungen Franzosen Nicolas Anelka aus. Bis zum 49. Pflichtspiel hatte der Stürmer gerade einmal ins Tor getroffen; in den nächsten drei Spielen traf er dreimal, was den kleinen Unterschied zwischen Ausscheiden und Europapokalfinale ausmacht. Ganz Madrid feiert Anelka, der FC Bayern grübelt.

Eine Etage tiefer.

Bayern München: Kahn - Babbel (60. Salihamidzic), Andersson, Kuffour, Lizarazu - Sergio, Jeremies (59. Fink), Scholl, Effenberg - Elber, Jancker (79. Santa Cruz) Real Madrid: Casillas - Campo, Helguera, Julio Cesar - Geremi, McManaman (90. Balic), Redondo, Roberto Carlos - Raúl - Anelka (89. Sanchis), Savio (81. Karembeu)Zuschauer: 60.000; Tore:1:0 Jancker (12.), 1:1 Anelka (31.), 2:1 Elber (54.)