Pittoreske Demut

Mit seinem Regiedebüt „Three Seasons“ versucht der kalifornische Exilvietnamese Tony Bui ikonographische Wiedergutmachung

von BIRGIT GLOMBITZA

Lan schminkt sich den Mund immer etwas größer, als er ist. Auch die Mandelform ihrer Augen rundet sie mit schwarzem Strich zu westlichem Standard auf. Jetzt heißt es nur noch warten. Auf den einen, der sie mitnimmt, der sie erlöst. Dann ist sie nicht mehr die arme Hure mit dem gesenkten Blick und dem wackeligen Schritt. In ihrer leuchtenden Zukunft wird Lan im Hotel Majestic nächtigen, sich über das Klopfen der Klimaanlage beschweren und sich ein Filetsteak bestellen. Alle werden ihr einen schönen Tag wünschen. So wird, ja so muss es einmal werden, hofft sie und zieht sich die Lippen nach.

Lan ist wie ihre Stadt Saigon. Flatterhaft, berechnend, vom Krieg um alle Unbeschwertheit geprellt, von dem Glanz westlicher Warenwelt verwirrt. Trotz allem liebt der Rikschafahrer Hai das Callgirl. Auch wenn er für ihre Sehnsucht viel zu langsam ist. Denn Hai hat ein Herz, größer als das neue Einkaufszentrum in der Stadtmitte. Alle kranken Kollegen und nölenden Touristen finden darin Platz, solange sie nur die Schönheit der Langsamkeit entdecken, wenn sie sich von ihm durch die lärmende Stadt radeln lassen.

In „Three Seasons“, dem Kinodebüt des Exilvietnamesen Tony Bui, sucht der 27-jährige Regisseur, der in Kalifornien aufgewachsen ist, seine ursprüngliche Heimat. Dort angekommen, kann er sie dann doch nur wie ein Tourist bereisen und abfotografieren. Reisebilder mit Goldrand: Frauen in kleinen Booten bei der Lotusblütenernte. Sonnenstrahlen, die sich an der Seeoberfläche zu Goldglitter brechen. Und manchmal, wenn das Licht besonders malerisch im Weichzeichner zerstäubt, singen die Pflückerinnen zum Gleichtakt der Erntearbeit ein Lied von der Tugend: „Der Regentropfen ist wie die Frauen. Einige fallen in die Gosse, andere in den gesegneten Teich.“ Wenn eine zur geweihten Sorte gehört, dann ist es die artige Lotusgärtnerin Kein An, der Tony Bui einen eigenen Erzählstrang widmet. Ihre Reinheit rührt sogar den verbitterten und von Lepra entstellten Dichter am Rande des Lotusblütensees. Nur Kein An vertraut er seine Kunst an. Und wenn die Bienenfleißige nicht gerade in der Stadt Blumen verkauft, transkribiert sie geduldig seine Gedichte für die Nachwelt.

„Three Seasons“ ist ein Film, in dem Proleten Poeten und Huren Engel sind, die vom Himmel materieller Verheißungen purzeln. Hinter jeder Schande verbirgt sich hier eine Passionsgeschichte, ausgemalt mit pittoresker Demut und unterlegt mit kulturpessimistischem Katzenjammer. Der Film predigt den Armen, Kranken und Zerlumpten das Himmelreich, so lange sie nur glauben. An das Reine, Schöne und an die Familie. Denn bei allem ansehnlich inszenierten Zerfall bleibt der Film ein Kniefall vor dem Traditionellen. Und das ist für Bui eine Geste der Wiedergutmachung. Denn auch wenn die meisten „Vietnam“-Filme auf den Philippinen oder in Thailand gedreht wurden, ging dieses Land als unüberschaubarer Märchenwald und grausame Initiationsstätte für angehende Männer in die Welt der Kinomythen ein. Brennender Dschungel, in den Boden gestampfte Dörfer und flüchtende Kinder aus der Perspektive eines Kampfhubschraubers, so beutet das Kino bis heute Vietnam aus. Tony Bui fühlt sich nun offenbar beauftragt, seinem Land eine visuelle Intaktheit zu verleihen. Eine Art Abfindung für die Beutekunst „Vietnamfilm“. Und wenn Harvey Keitel in „Three Seasons“ Tag für Tag seinen Stuhl an den Straßenrand stellt, die Bar gegenüber anstiert und auf eine Begegnung mit seiner halbvietnamesischen Tochter hofft, soll der Ex-Marine nicht nur für „Agent Orange“-Einsätze sühnen, sondern auch für die amerikanische Ikonographie und visuelle Inbesitznahme dieses Landes. Nicht zufällig vergnügten sich schließlich in genau dieser Bar kampfesmüde Marines in Coppolas „Apokalypse Now“.

„Three Seasons“ ist die erste US-Filmproduktion, die 25 Jahre nach dem Vietnamkrieg in Ho-Chi-Minh-Stadt gedreht werden durfte. (Nur der französisch-vietnamesische Regisseur Tran Anh Hung hatte zuvor eine Drehgenehmigung für „Cyclo“ [1995] erhalten.) Ohne den Einfluss von Tony Buis vietnamesischem Onkel Dong Duang, der den Rikschafahrer spielt und in Vietnam ein Star ist, wäre „Three Seasons“ wohl so nicht zustande gekommen. Der diplomatische Eiertanz um die Realisierung, das tägliche Verhandeln mit den Zensoren und die Unsicherheit im Umgang mit einer nur halb vertrauten Heimat lassen „Three Seasons“ zu einer Fabel werden, die vor allem von einem erzählt: der Anstrengung. Von den Mühen des Märchenerzählens, der Suche nach dem Aparten im Hässlichen und von den Strapazen, niemandem auf die Füße zu treten.

Genau wie Hai. Der Rikschafahrer rackert sich solidarisch bis zum Schluss ab. Für ein besseres Leben und für eine bezugsfertige Romantik. Am Ende kauft er von dem hart erstrampelten Geld ein Blümchenkleid. Das schenkt er Lan. Dann führt er sie ins Hotel Majestic, in eine Suite mit klopfender Klimaanlage und vorzüglichem Room-Service. Er bittet seine große Liebe ins Bett. Sie soll sich nicht ausziehen. Sie soll ihn nicht berühren. Sie soll nur die Augen schließen. Denn er will ihr beim Schlafen zusehen. So unschuldig, so selig nickt auch „Three Seasons“ nach allen Beschwerlichkeiten am Ende ein. Wiedergutmachung ist eine anstrengende Angelegenheit.

„Three Seasons“. Regie: Tony Bui. Mit Don Duong, Hguyen Ngoc Hiep, Zoe Bui, Harvey Keitel, USA 1998, 113 Min.