Sauf den Tod

Lech Majewskis „Wojaczek“ ist ein depressiver Film über den früh verstorbenen polnischen Pop-Poeten

Noch immer gilt wohl die traurige Regel, dass der frühe Tod eines Dichters ihm ein langes Leben garantiert. Rafal Wojaczek beging am 11. Mai 1971 Selbstmord; er war 26 Jahre alt. Als „Rimbaud aus Volkspolen“ wird er bezeichnet und mit Rimbaud verbindet ihn nicht nur das Schicksal, zu jung gestorben zu sein, sondern auch das, der Nachwelt vor allem als Bild, als Verkörperung einer Lebenshaltung in Erinnerung zu sein: ein zorniger junger Poet.

Lech Majewski stellt in seinem Film denn auch ganz bewusst die Legende eines solchen Lebens dar – und nicht die Biografie. Gleich zu Beginn schmeißt sich Wojaczek durch das Ladenfenster einer Kneipe auf die Straße, unter dem lauten Protestschrei des Wirtes, das sei nun schon die dritte Scheibe.

Schon hat man so die Koordinaten eines „poète maudit“ zusammen: Auf der einen Seite das unkonventionelle Verhalten, auf der anderen die entsetzten Spießer. „Stehst du so früh auf?“ fragen ihn zwei junge Soldaten, als er vor dem Haus sitzt. „Nein, ich gehe so spät schlafen“, antwortet kanonisch der Dichter-Rebell.

Doch es ist mehr als der gesuchte Ausbruch aus einer Norm. Die Todessehnsucht steht ihm ins Gesicht geschrieben. Aber nicht als eine, die von Leid erlöst sein will. Eher ist es die Sehnsucht nach Intensität. Oder auch der Ausdruck eines radikalen Fremdseins. „Rafal Wojaczek, den es nicht gegeben hat“, denkt er sich als Titel für eine Gedichtsammlung aus. Und man kann nur noch schwer entscheiden, wo hier die poetische Selbstverliebtheit endet und der Mut zur schwärzesten Negation beginnt. Furchtlos stürzt sich Wojaczek fortan von einem Besäufnis ins nächste oder auch aus dem dritten Stock.

Heute würde man Wojaczek wahrscheinlich als Pop-Poeten bezeichnen und sicher hätte er in der aktuellen Diskussion um die „Schlappschwanz-Literatur“ einen extrem starken Stand. Doch Majewskis Film ist historisch. Sorgfältig und fast liebevoll rekonstruiert er die depressive Aura einer inzwischen vergangenen Welt. Natürlich in schwarz-weiß. Überall fällt der Putz von den Häusern und bilden sich Pfützen im Asphalt.

Dazwischen die Spruchbänder, von denen sich heute kaum mehr sagen lässt, ob sie wirklich so absurd waren oder ob der Regisseur sie so erfunden hat. Zu dieser Zeit, in dieser Umgebung sich mit Haut und Haar zum Dichter zu stilisieren – und schließlich macht genau das den Pop-Poeten aus: die Selbststilisierung –, erforderte wirklich besondere Gaben.

So ist „Wojaczek“ am Ende viel mehr als ein Dichterporträt, es ist eine skeptische Hommage an eine bittere Zeit. Ohne zu beschönigen, bringt Majewski in beklemmenden, wohlrhythmisierten Bildern und einem absurdistischen Arsenal an Nebenfiguren diese alte Welt zum Klingen. Fast kommen die Gerüche, jene Träger der emotionalen Erinnerung, zurück beim Anblick der maroden Zivilisationsbrachen des einst real existiert habenden Sozialismus. Das war vor dem Einbruch des Kapitalismus mit seiner Oberflächenbeschönigung. Nicht umsonst ist „Wojaczek“ für die Jugend in Polen zum Kultfilm geworden.BARBARA SCHWEIZERHOF

Täglich 20 Uhr im Balázc, Karl-Liebknecht-Straße 9, Mitte