„Der Integrationsprozess ist erst am Anfang“

Die Roma und Sinti in Berlin haben ganz unterschiedliche soziale und kulturelle Hintergründe. Deshalb ist es für sie schwer, zueinander zu finden. Das meint Jörg Becken von der Romani Union Berlin-Brandenburg. Eine Begegnungsstätte soll das Miteinander fördern

taz: Nach vorsichtigen Schätzungen sollen in Berlin 20.000 Roma und Sinti leben: Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, Aussiedler, in Deutschland geborene Roma und Sinti und solche, die in den 70er-Jahren legal zum Arbeiten kamen. Haben diese Gruppen untereinander Kontakt?

Jörg Becken: Es gibt erst seit drei Jahren einen institutionalisierten Ort und eine Begegnungstätte für Roma und Sinti in Berlin. Dort gibt es gemeinsame Gespräche, Sprach-und Computerkurse. Polnische Sinti und Berliner Roma machen gerade eine CD zusammen. Sie wollen sich an einem Wettbewerb der Werkstatt der Kulturen beteiligen. Produziert wird die CD von einem serbischen Rom.

Das gemeinsame kulturelle Leben steckt also noch in den Kinderschuhen.

Ja, aber es wird immer mehr. Roma und Sinti besuchen Lesungen oder Konzerte und entwickeln Freundschaften, die bei uns den Anfang nehmen.

Warum sind die Lebenswelten und Probleme der Gruppen so unterschiedlich?

Wie alle Völker sind Roma und Sinti trotz vieler Gemeinsamkeiten keine homogene Bevölkerungsgruppe. Die Gruppen kommen aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Religionen. Die in Deutschland Geborenen und auch die Aussiedler konnten bis heute das Trauma des Holocaust nicht überwinden.

Es gibt wenig StudentInnen, viele sind SozialhilfeempfängerInnen. Natürlich gibt es auch einige Wohlhabende und auch Jüngere, die sehr gut integriert sind.

Haben die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien zu den anderen Gruppen Kontakt?Sie haben ganz andere Probleme: Sie stehen vor der Abschiebung. Sowohl in Serbien, Bosnien und im Kosovo sind sie aber nicht erwünscht. Insgesamt kann gesagt werden, dass der Intergrationsprozess für alle Gruppen erst am Anfang steht.

Ein spezielles Klientel ihres Vereins sind die polnischen Roma und Sinti. Welche Erfahrungen haben Sie mit ihnen gemacht?

Die polnischen Sinti und Roma kommen aus den ehemaligen deutschen Gebieten, aus Schlesien. Sie sind Ende der 80er-Jahre nach Deutschland gekommen und haben jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Wir arbeiten ungefähr mit 70 Familien in Spandau und Reinickendorf zusammen. Wir versuchen, sie fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Die meisten sind Sozialhilfeempfänger und können die deutsche Sprache noch nicht perfekt. Mit den Sozialämtern stehen wir im ständigen Kontakt und entwickeln spezielle Programme. Weil davon auszugehen ist, dass Polen bald EU-Mitglied wird, könnte diese Gruppe eine Mittlerfunktion nach Polen für Minderheiten dort übernehmen. Das wäre sehr wichtig.

INTERVIEW: JULIA NAUMANN

Hinweis:Jörg Becken ist Sprecher der Berliner Romani Union. Der Verein bietet Beratung und Veranstaltungen an. Der Senat unterstützt den Verein mit Mietkosten und Honorarmitteln.