Es fehlen nur noch die Geranien

Jedes Frühjahr ziehen deutsche Sinti und Roma mit ihren Wohnwagen zum ehemaligen Grenzübergang Dreilinden, um in Berlin zu arbeiten. Nach jahrelangen Debatten will der Senat den Platz nun endlich zu einem Dauerstellplatz ausbauen

von JULIA NAUMANN

Es sieht aus wie auf einem ganz gewöhnlichen Dauer-Campingplatz: Große, geräumige Wohnwagen, schattige Bäume. Frauen kochen in eigens errichteten Vorzelten auf elektrischen Kochplatten das Essen. Eine Frau bügelt ihre Blusen mit einen kleinen Reisebügeleisen. Kinder spielen in der knalligen Sonne Federball. Ferienidylle.

Doch die rund 120 Menschen, die sich auf dem Stellplatz am ehemaligen Grenzkontrollpunkt Dreilinden niedergelassen haben, machen keinen Urlaub. Sie wohnen zwischen Mai und Oktober hier. Es sind Roma und Sinti, die meisten mit deutschem Pass. Sie verbringen mit ihren Familien den Sommer über in Berlin, um hier zu arbeiten. Im Winter leben sie in westdeutschen Großstädten in festen Wohnungen.

Jedes Jahr kommen sie mit ihren Wohnwagen, Satellitenschüsseln und Gartenmöbeln nach Zehlendorf. Sie arbeiten, gehen zum Supermarkt um die Ecke und führen ansonsten ein Leben wie viele andere auch. Die Bewohner fühlten sich als „ganz normale Deutsche“, die zwar noch Eine zweite Sprache – Romanes – sprechen, sich aber ansonsten als Pendler zwischen zwei Wohnorten sehen, sagt Doro Schultz. Die 41-Jährige ist Sozialarbeiterin der Caritas, seit vier Jahren in einem eigens aufgestellten Container für die Verwaltung und die kleinen und größeren Problemchen der BewohnerInnen zuständig.

Mit der Presse wollen die Dauercamper nicht reden. Nicht einmal Doro Schultz kann vermitteln. „Die Menschen hier haben keine Lust, wie Tiere im Zoo bestaunt zu werden“, erklärt Schultz. Sie hätten zu oft Diskriminierungen erlebt, wollten auf keinen Fall, dass die Erwachsenen oder die Autokennzeichen fotografiert werden. Ein Dachdecker verlor seine Arbeit, nachdem der Arbeitgeber ihn nach der Lektüre eines Zeitungsartikel als Sinti identifiziert hatte, erzählt Schultz. In Rostock und in Magdeburg hat es vor einigen Jahren Brandanschläge auf Wohnwagen gegeben, die als Schausteller am Rande eines Rummelplatzes geparkt hatten.

Bei einem Rundgang über den Platz – bisher sind 11 von 44 Stellflächen belegt – verschwinden deshalb auch die meisten in ihre Wohnwagen. Eine jüngere Frau sagt, sie könne leider nichts sagen, weil ihr Vater dass nicht erlauben würde. Der sei gerade arbeiten. Dann widmet sie sich wieder ihren Kochtöpfen. Im Hintergrund plärrt ein Fernseher.

Deshalb muss Doro Schultz erzählen. Die meisten „Camper“ seien „keineswegs mittellos“. Das ist schon an den zahlreichen schwarzen und dunkelblauen Mercedessen zu erkennen, die wie Statussymbole überall auf dem Platz stehen. Die Männer seien Handwerker, andere handelten mit Lederwaren oder Antiquitäten auf Wochenmärkten oder in Einkaufszentren. Viele kämen schon seit 1995 hierher.

Seitdem gibt es den Zehlendorfer Platz. Pro Stellplatz müssen sie täglich eine Standgebühr von 30 Mark zahlen. Der Platz ist immer noch ein Provisorium, jedes Frühjahr müssen Wasser- und Stromleitungen neu verlegt und wieder abgebaut, Toiletten-und Duschcontainer installiert werden.

Schuld daran ist der Bezirk: Zehlendorf hat sich bislang geweigert, aus dem Areal einen dauerhaften Platz zu machen. Dafür müsste der Bebauungsplan geändert werden. Jetzt hat Bausenator Peter Strieder (SPD) das Verfahren an sich gezogen, da ein „gesamtstädtisches Interesse“ bestehe. Im Landeshaushalt sind für die Fläche drei Millionen Mark Investitionskosten bereit gestellt. Im nächsten Jahr soll gebaut werden. Doch die Zehlendorfer CDU versucht weiterhin quer zu schießen. So giftet der Abgeordnete Michael Braun, das Geld solle besser dafür verwandt werden, „Sinti und Roma in mitteleuropäischen Lebens- und Wohnverhältnisse zu integrieren.“ Ein staatlich subventionierter Dauercampingplatz sei ein „Schildbürgerstreich“.

Doro Schultz kann darüber nur den Kopf schütteln. „Ich weiß gar nicht, was der will.“ Es gebe keine sozialen Unterschiede zu Menschen, die in einer mittelständischen Neubausiedlung lebten. „Es fehlen nur noch die Geranien.“ Kulturell sei natürlich vieles anders: Die Frauen heirateten ziemlich jung. Die Kinder würden „antiautoritärer“ als andere erzogen, hat sie beobachtet. Auf dem Platz würde ihnen alles erlaubt: Spielen, Schreien, Rumtoben. Und wenn ein Kind einmal auf den Boden pinkle, sei es auch nicht so schlimm. Doch eines dürfen sie nicht: den Platz verlassen. „Das Sicherheitsbedürfnis und der Zusammenhalt ist sehr groß“, weiß Schultz. Mit den anderen Zehlendorfer Bürgern gebe es jedoch keine Probleme. „Am Anfang kamen sie und haben gegafft, jetzt hat sich das gelegt.“

Wegen des Sicherheitsbedürfnisses gibt es auch Probleme mit dem Schulbesuch. Eine Lehrerin, die von einer Zehlendorfer Schule freigestellt wird, unterrichtet auf dem Stellplatz die Jungen und Mädchen in einem Container. In die umliegenden Schulen können die Kinder zwar auch gehen, doch das wollen die Eltern zum Teil nicht so gerne. Aufgrund der kurzfristigen Aufenthalte ist eine Intergration in eine Klasse auch eher schwierig.

„Schule ist nicht alles“, hat Schultz beobachtet. Wichtiger sei es für die Roma und Sinti, dass ihre Kinder schon früh für die Familie Verantwortung übernähmen und Geld verdienten.

Es ist ein „großer Wunsch“ der Roma und Sinti, in Großfamilien zu leben. In ihren winterlichen Unterkünften ist das nicht möglich, denn die Wohnungen sind sehr klein. „Ihr gesamtes Geld geben sie für die Wohnwagen und den Sommeraufenthalt aus“, sagt Doro Schultz.

Die Kinder genießen das freie Leben auf dem Platz. „Es ist sehr schön hier“, sagt die zehnjährige Patricia selbstbewusst. Jedes Kind hat zusätzlich einen Sinti-Namen, sie heißt Bunni, ihre Cousine Sabrina Jenna. „Ich freue mich, dass ich jedes Jahr alle meine Freundinnen wiedertreffe.“ Die Kinder sprechen untereinander Romanes, mit der Sozialarbeiterin akzent- und fast fehlerfreies Deutsch. Dann möchte Bunni gerne ihren Wohnwagen vorzeigen. Da hätte sie einen eigenen abgetrennten Raum, erzählt sie stolz. Doch ihr Vater pfeift sie zurück. „Sie wollen doch auch nicht, dass man in ihr Wohnzimmer schaut, oder?“