Sandsack statt Kochtopf

Für die gelernte Köchin Heike Voller geht es morgen beim Frauenboxabend in Köln nicht nur um den Weltmeistertitel, sondern auch um die Fortsetzung ihrer entbehrungsreichen Profikarriere

von TANJA BUSSE

Eigentlich ist Heike Voller da, wo sie immer hinwollte. Morgen wird sie in Köln um die Weltmeisterschaft boxen. Dafür hat sie ihren Job gekündigt, dafür ist sie von Mannheim nach Dortmund und von Dortmund nach Berlin gezogen, dafür hat sie in den vergangenen Jahren zwei bis drei Mal täglich trainiert und zwischen Sandsack und Sparring bei einer Zeitarbeitsfirma gejobbt, um die Miete zahlen zu können. Und nun wird es diesen Kampf geben: Marisha Sjauw „La Matadora“, Europameisterin im Junior-Weltergewicht, gegen Heike Voller, Europameisterin im Weltergewicht. Es geht um den vakanten Weltmeistertitel der WIBF, des Frauenweltverbandes.

Das ist der Kampf, auf den Heike Voller jahrelang gewartet hat, aber sie tritt nur an, um hinterher nicht sagen zu müssen, sie hätte ihre Chance nicht genutzt. Ansonsten hat sie die Schnauze voll. Heike Voller, 25 Jahre alt, gelernte Köchin, Weltmeisterin im Kickboxen, ist hübsch, aber burschikos und hat Waden, die Männern Angst machen. Ihren Hände sieht man an, dass sie Haken schlagen können. Sie ist ausgezogen, um Boxerin zu werden, und hat dabei gelernt, dass Profiboxerinnen sexy sein müssen und dass Boxen ein Geschäft ist, in dem es weniger um sportliche Leistung geht als um Inszenierung von Rollen.

In Deutschland gab es für Frauen lange Zeit nur eine Rolle, die der Exotin im Männersport, und die war besetzt durch Regina Halmich. Deren alter Karate-Trainer Jürgen Lutz hatte den Hamburger Boxveranstalter Universum lange überreden müssen, Halmich unter Vertrag zu nehmen. Lutz ist heute Präsident des Deutschen Frauenboxverbandes und Herausgeber des Lady-Box Journal. „Die Kleine kann mittlerweile zufrieden sein mit dem, was sie verdient“, sagt er über Halmich. „Wenn Sie einen Ausländer nehmen, der nicht so eine hohe Wertigkeit hat, kriegt sie nicht weniger.“

Heike Voller war bereit mitzuspielen. Sie hat sich in Lack und Leder für ihre Autogrammkarten fotografieren lassen, die geschminkten Lippen halb geöffnet, und in einem Top mit Leopardenmuster und verschwitzt mit einem Handtuch über der nackten Brust. Nicht gerne, aber sie hat mitgemacht. „Das musste so sein“, sagt sie. Der Deutsche Amateur-Box-Verband hat nach heftigen internen Diskussion 1995 Frauen das Boxen erlaubt, aber richtet noch immer keine Meisterschaften aus. „Weil es zu wenige Frauen gibt“, sagt Helmut Mohr, Geschäftsführer des Amateurverbandes. „Sandsack-Boxen – ideal für Frauen“, so werben die Vereine.

Über 8.000 Frauen trainieren in deutschen Amateurboxvereinen, 136 von ihnen haben einen Startpass. Die Chancen für Boxerinnen stehen schlecht, eine nach Alter, Gewicht und Leistung passende Gegnerin zu finden. Und wenn doch eine gefunden wird, haben die Vereine oft kein Geld, die Fahrtkosten zu den Kämpfen zu bezahlen.

Wer Profiboxerin werden will, muss es auf einem anderen Weg versuchen. Heike Voller ist einem Angebot einer neuen Profiboxschule in Dortmund gefolgt, die inzwischen Pleite gegangen ist. Die hat zwar einen Trainer gestellt, aber keine Kämpfe organisiert. Dann hat sie ein Manager nach Berlin gelockt, der ihr Kämpfe in Polen bieten konnte, aber keinen Trainer. Die hat sie sich selbst gesucht, junge Männer, die gerne mit einer begabten Boxerin arbeiten wollten, aber keinen Pfennig Geld bekommen haben. Die Vertragsbedingungen: Der Manager, dessen Namen Heike Voller nicht nennen möchte, besorgte die Kämpfe, und Heike boxte. Geld für den Lebensunterhalt gab es keins, die Kampfbörse lag bei einigen hundert Mark. Zwei Jahre hat sie dieses Leben durchgehalten: ein Trainingsprogramm auf Profiniveau und ein Leben zu Amateurbedingungen. Als sie vor dem Kampf um die Europameisterschaft klagte, dass sie Jobben und Trainieren nicht länger vereinbaren könne, bekam sie gesagt, sie könne Goldkettchen und Kaviardosen verkaufen, als Köchin könne das nicht allzu schwer sein. Sie hat nicht mehr gefragt, woher die Kaviardosen kamen, sondern den Vertrag gekündigt.

Sie bewarb sich bei der Universum Box-Promotion um einen festen Vertrag, und die Absage hat sie zornig gemacht. „Aufgrund der aktuellen Entwicklungsplanung“ könne man sie nicht unter Vertrag nehmen. „Wir sind jedoch überzeugt, dass Sie dank Ihres Einsatzes und Ihrer unumstrittenen Fähigkeiten schon bald ein adäquates Management finden werden“, stand darin. Darüber kann Heike Voller nicht einmal mehr lachen: „In Deutschland gibt es zwei Boxpromoter, Universum und Sauerland. Und alle wissen, dass Sauerland keine Frauen unter Vertrag nimmt.“

Jahrelang war Regina Halmich die einzige Frau bei Universum, mehr geduldet als bewundert, von den Schwergewichtlern wohlwollend belächelt und schließlich akzeptiert, weil sie sich nie hat kleinkriegen lassen. Jetzt, wo man gesehen hat, dass sich in Amerika Geld verdienen lässt mit Frauenboxen, hat Universum zwei weitere Boxerinnen unter Vertrag genommen, Daisy Lang und Michele Aboro. Und nun veranstaltet Universum zum ersten Mal einen Damenboxabend, die „Ladies’ Night“, bei der Halmich, Lang und Aboro um den Weltmeisterschaftstitel boxen werden. Dazu haben sie auch Heike Voller eingeladen, und die hat zugesagt.

Drei Monate Zeit, um den Trainingsrückstand von drei Monaten aufzuholen und sich von 70 auf 61 Kilo herunterzuhungern. Morgens vor dem Frühstück ein Kilometer Schwimmen, jede zehnte Bahn auf Tempo, dann fünf Kilometer Tempoläufe im Wald und abends zehn Runden Sparring. Ihr Trainer nimmt sie mit in Amateurvereine, um Sparringspartner zu finden. Doch das ist oft schwierig. Einmal sollte sie mit einem jungen Türken sparren, doch der verkündete, dass es nach seinen zwei Siegen in Amateurkämpfen unter seiner Würde sei, gegen Frauen zu boxen. Er hat sich dann dem Kommando des Trainers gefügt, aber mit aller Kraft seine Ehre zu retten versucht. „Eigentlich sollte ich den Aufwärtshaken beim Ausweichen üben, aber es ist voll brachiales Sparring geworden.“ Nach drei Runden Prügelei hatte der Junge sich verausgabt und musste sich über die Runden schleppen. „Aber das ist nicht Sparring. Sparring bedeutet, sich gegenseitig weiterzubringen. Unter Kontrolle.“

„Ich habe noch eine Chance bekommen“, sagt Heike Voller. „Wenn ich gewinne, dann hab ich meinen Preis. Dann boxe ich nur noch, wenn ich eine Börse kriege, von der ich leben kann.“ Und wenn nicht, will sie vom Boxen nichts mehr hören und sehen, dann will sie ganz weit weg, am liebsten auf einem Schiff anheuern. Köchinnen brauchen sie da.