Sex ist Technik

Lesbische Sexualität? Die ist irgendwie kuschelig. So ziemlich das Gegenteil vom Prinzip der Penetration. Oder nicht?Ein Sexratgeber für Lesben räumt jetzt mitalten Hemmungen auf. Die neue Botschaft lautet: Probier’s einfach aus!

von ANDREA ROEDIG

Von den bekannten Spielarten erotischer Begehrensformen hat die lesbische Variante die geringste Aussicht auf häufigen Sex. In der Statistik der Beischlafdichte, so besagen amerikanische Untersuchungen aus den Achtzigerjahren, nehmen Schwule den ersten Platz ein, gefolgt von heterosexuellen Paaren. Weibliche Bettgemeinschaften rangieren in Häufigkeit, Variation und Promiskuität auf dem traurigen dritten Platz.

Auch wenn solche Studien mit Vorsicht zu genießen sind, zumal sie das allgemeine Klischee der weniger sexuellen Natur der Frau bedienen, stößt man allenthalben und überall auf den Verdacht: Lesben und Sex – das ist ein Problem.

Erklärungen für das Phänomen, das als LBD – als lesbian bed death – sprichwörtlichen Ruhm erlangt hat, gibt es zuhauf. Die viel gerühmte weibliche soziale Kompetenz multipliziert mit zwei führe eher zu harmonischem Gekuschel und Symbiose als zum Kick der Differenz, der für sexuelles Verlangen Voraussetzung sei, heißt es.

Zudem haben Lesben unter den aufs Patriarchat zugeschnittenen Lüsten am meisten zu leiden. Es fehlten lange Zeit die Bilder des eigenen Begehrens. Fast jede erdenkliche erotische oder sexuelle Darstellung von Frauen, von Pornografie ganz zu schweigen, ist heterosexuell und durch den männlichen Blick besetzt. Immer noch richten sich die meisten Kleinanzeigenangebote unter dem Stichwort „lesbische Liebe“ an ein männliches Publikum. Gebrannt durch die Erfahrung, selbst falsches Objekt für das falsche Begehren zu sein, gab und gibt es bei Lesben ein Tabu, Frauen offensiv zu sexualisieren.

Last, not least tragen zumindest die älteren unter den Frauen liebenden Frauen das Erbe eines politischen Lesbianismus. Die gut gemeinte sexuelle Befreiung von der Männerherrschaft – „Feminismus ist die Theorie, Lesbischsein die Praxis“ – hatte bekanntlich eine restriktive Kehrseite. Lange Zeit verwechselte frau in einer Art naturalistischem Fehlschluss Dildos mit dem männlichen Gemächt oder – Pars pro Toto – Penetration mit dem Patriarchat. Das schränkte die Spielweisen lesbischer Sexualität in einem nicht unerheblichen Maße ein.

„Korrekter kommen“ würde man einen Sexratgeber für Lesben aus den Siebzigern heute wohl nennen. Wenn es einen gegeben hätte. Es gab keinen. Zumindest nicht aus Deutschland. Für Aufklärerisches und Erotisches in Sachen Homosexualität war bislang immer die US-Literatur zuständig; die Übersetzung von Pat Califias „Sapphistrie“ blieb hierzulande über zwanzig Jahre hinweg fast der einzige ernst zu nehmende Ratgeber in Sachen lesbische Sexualität.

So musste das alte Jahrtausend verstreichen, bis jetzt das erste im Original deutschsprachige „Sexbuch für Lesben“ erscheinen konnte. Es heißt „Schöner kommen“ und findet, laut Verlag, einen „sensationellen“ Absatz. Von der ersten Viertausenderauflage war binnen zwei Monaten bereits die Hälfte verkauft.

Das von Anja Müller und Manuela Kay herausgegebene Buch kann als Resümee der Entwicklung lesbischer Befindlichkeiten in den Neunzigerjahren gelesen werden. Und natürlich spielt das Ganze mit einem politischen Einsatz, der etwas mit Postfeminismus und dem Ende des weltanschaulichen Pazifismus zu tun hat. Denn tabuloses Sprechen über lesbischen Sex kommt – aus welchen Gründen auch immer – meist aus der Ecke von SM-Freundinnen.

Auch im Vergleich mit den amerikanischen Vorbildern wirkt der Ratgeber ungewöhnlich, denn er ist ein freizügiger Fotoband, erotisches Geschichtenbuch und Aufklärungstext in einem. Ein „Kochbuch der lesbischen Sexualität“ nennen die Autorinnen ihr Werk, „Handwerksanleitung“ würde besser passen, denn für die Beschaffung notwendiger Sexutensilien – Klemmen, Seile, Karabinerhaken – wird uns auffällig oft der Baumarkt empfohlen.

Vermittlung biederer Hausfrauentipps und Produktinformation, das ist die eine Ebene des Buches. Ironisch und verspielt erfährt die Leserin, dass viele Silikondildos spülmaschinfest sind, dass Crisco-Backfett als beliebtes Gleitmittel fürs Fisten dient, dass Peitschen mit Lederfett gepflegt werden sollten und Bondagestoffseile sich bei vierzig Grad gut im Schonwaschgang säubern lassen. Bei Urinexperimenten im nicht gekachelten Badezimmer sollten die Gespielinnen Teichfolie unterlegen: „Da kann rumgesaut und hinterher leicht wieder sauber gemacht werden.“

Aufgebaut ist „Schöner kommen“ in einer Klimax von verschiedenen Körperpartien, Praktiken und Affektionen. Das geht vom Kennenlernen (und dem Rat, sich nicht allzu sehr zu betrinken, bevor man die Dame des Herzens anspricht) über Tribadie, Penetration, Faustfick, Bondage, Rollenspiele, Flagellation bis hin zu den Kapiteln „Blut“ und „Heiß/Kalt“. Jedem Abschnitt ist eine erotische Erzählung vorangestellt, bisweilen nichts für schwache Mägen. Die Autorinnen verzichten darauf, ihre Leserinnen im Stil alter Sexratgeber über ihre Fantasien zu beruhigen, diese Zeit ist vorbei. „Nichts muss, alles kann“ heißt die neudeutsche Weisheit. Sex ist Technik. Kein Wort von Liebe, aber von starken Reizen und Gefühlen.

Wenn es ein Motto des Buches gibt, dann heißt es „sicheres Spiel“. Es geht in den Ausführungen um geregelten Kontrollverlust und immer darum, sich nicht ernsthaft zu verletzten. Sachlich und unaufgeregt ist der Ton und kippt doch nicht selten ins Komische oder ins Erschreckende um: „Schläge auf die (abgebundene) Brust sind sehr schmerzhaft und können schnell zu geplatzter Haut führen“ – „Ketten sind (beim Schlagen) mit Vorsicht zu gebrauchen, da ein kraftvoller Schwung alles zwischen heftigen Prellungen und Knochenbrüchen verursachen kann“ – „Nicht schräg, sondern im rechten Winkel zur Hautoberfläche schneiden. So können die Gefäße besser wieder zusammenwachsen.“

Sex in der Postmoderne gibt sich einen klinischen Touch. Die Fotos des Ratgebers wirken teils wie Abbildungen aus einem Medizinbuch, Hände kommen – ganz safer Sex – in Latexhandschuhen zum Einsatz. Medizinisch etwas fahrlässig wird die Verbindung von Lust und Schmerz über die Endorphinausschüttung erklärt, und leider fehlt ein Kapitel über ansteckende Geschlechtskrankheiten – ein Gesundheitsratgeber ist „Schöner kommen“ eben nicht.

Das meiste von dem, was wir erfahren, ist – wen wundert’s? – nicht vollständig neu. Sexpraktiken ändern sich nicht so schnell wie die Moden. Was sich aber ändert, sind die Gewichtung einzelner Themen und der Ton. Körperbild, Anatomie und Beziehungsfragen sind in „Schöner kommen“ wesentlich knapper gehalten als in „Sapphistrie“, dafür fallen die Ratschläge zu einzelnen Praktiken, wie beispielsweise zum Spiel mit Wachs und Glut, wesentlich detaillierter und kenntnisreicher aus.

Vergangen sind der weiche Selbsterfahrungsdiskurs, das feministisch inspirierte Verlangen, den enteigneten Körper, die enteigneten Lüste wieder zu erobern, und die Suche nach einer beschönigenden, umschreibenden Sprache. Eine Möse ist eine Möse, und Ficken ist Ficken. Ganz klar geht es heute auch darum, den Mythos vom Mythos des vaginalen Orgasmus endgültig zu entthronen und Penetration in allen Formen wieder hoffähig zu machen.

Wohin also gehen die Lüste der lesbischen Avantgarde? Sie eignen sich mehr und mehr die Signifikanten beider Geschlechter an. Karen-Susan Fessel redet in ihrer Prosa selbstverständlich von „meinem Schwanz“. Beiläufig wird das männliche Glied auch mal als „kleiner Bruder der Klitoris“ bezeichnet. Diejenigen Lesben, die seit einigen Jahren wieder mit Schwulen zusammenarbeiten, übernehmen von ihren Homobrüdern die offensive Politik der Sichtbarkeit, eine narzisstische Ästhetik und, zumindest in Ansätzen, die Fetischisierung von Sex jenseits der Liebe – eine bisher nicht gerade weibliche Stärke.

Ob die Palette der Möglichkeiten, die „Schöner kommen“ präsentiert, eine reale und allgemeine Veränderung im Umgang mit dem Begehren spiegelt, ist schwer einzuschätzen. Noch haben sich Dark Rooms für Lesben, Klappen und Puffs nach männlichem Vorbild nicht durchgesetzt. Aber frau sieht sich – vor Jahren noch undenkbar – mittlerweile gerne Go-go-Girls zur Animation bei diversen Tanzvergnügen an. Vielleicht aber kreiert die neue Welle der designbewussten Divenpartys bei den jungen Lesben eher eine zarte H&M-(sprich: Hennes und Mauritz-)Erotik, die mit ruppigem Leder nicht viel zu schaffen hat.

„Lesben sind verklemmt und haben furchtbar versaute Fantasien“, sagte einmal Manuela Kay. Fast alles dreht sich hier um Vorstellungen, Wünsche, Sehnsüchte. Sex spielt sich immer im Kopf ab. Doch schmerzlich ist, wenn er dort bleibt. „Schöner kommen“ propagiert eine Gegenfantasie: Probier’s aus, mach’s einfach! Wir werden sehen, ob sich die Statistik ändert.

Manuela Kay/Anja Müller (Hrsg.): „Schöner kommen. Das Sexbuch für Lesben“. Berlin 2000, Quer Verlag, 255 Seiten, 39,80MarkANDREA ROEDIG, 37, lebt als freie Journalistin in Berlin