Phytotherapeut als Zünglein an der Waage

Eine Expertenkommission des Gesundheitsministeriums entscheidet demnächst über das Schicksal anthroposophischer Arzneimittel

Bis zum 17. Mai muss das Gesundheitsministerium eine Kommission aus neun Experten berufen. Das Gremium soll eine Vorschlagsliste verordnungsfähiger Arzneimittel ausarbeiten, auch Positivliste genannt. Binnen einem reichlichen Jahr sollen alle Medikamente in Deutschland noch einmal auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden. Je nach Besetzung der Kommission könnte die Liste das Aus für homöopathische und anthroposophische Mittel bedeuten.

Natürlich ist es nicht das Ziel des Gesundheitsministeriums, mittels der Positivliste die alternativen Heilverfahren vom Tisch zu kehren. Sechs Experten der Kommission sind Schulmediziner, Pharmakologen und Statistiker. Dazu kommen drei Vertreter der alternativen Heilverfahren Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie (Pflanzenheilkunde). Sieben Experten müssen sich einig sein, um Entscheidungen zu treffen. Wären sich die Komplementärmediziner einig, könnten sie alle Vorschläge kippen, die zu ihrem Nachteil sind. Doch die Einigkeit wackelt. Denn die Phytotherapie ist gespalten in zwei Denkschulen, und eine davon ist schulmedizinisch orientiert. Sie setzt auf die Wirkung einzelner chemischer Substanzen der Pflanzen, die alternativen Vertreter dagegen schwören auf die Heilwirkung durch Gesamtauszüge.

Im Gesundheitsministerium ist über die Nominierung des Phytotherapeuten noch nichts zu erfahren. Er wird als Zünglein an der Waage gehandelt. Georg Soldner vom Vorstand der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte gibt sich gelassen. „Ich sehe nicht, dass die Liste unser Aus ist.“ Er bezieht seine Überzeugung aus der Positivliste, die 1995 unter der Kohl-Regierung erarbeitet, aber nie umgesetzt wurde. In der damaligen Studie sah es gut aus für den Kernbestand der anthroposophischen Medizin. Doch das Kräftemessen beginnt von vorn, und das Ergebnis ist offen. Soldner arbeitet als Kinderarzt in München mit chronisch Kranken. Er kann nicht verstehen, dass medizinische Studien von in der Regel drei Monaten zur Bewertung des Nutzens von Medikamenten herangezogen werden. Der Anthroposoph verweist auf eine schwedische Untersuchung, die auf zehn Jahre angelegt war. Und die langfristigen Ergebnisse können sich sehen lassen: Während sich in der geimpften, schulmedizinisch behandelten Vergleichsgruppe die Asthmahäufigkeit verdoppelte, halbierte sich die Anzahl der chronischen Leiden bei den anthroposophisch behandelten Kindern. „Das ist der Nutzen, der uns interessiert“, sagt Soldner, „der langfristige!“

Der „mehr als geringfügige therapeutische Nutzen“ von Arzneimitteln wird in Paragraf 33 a im neuen SGB V (Sozialgesetzbuch) gefordert. Der Paragraf über „Verordnungsfähige Arzneimittel“ ist seit 1. Januar 2000 in Kraft. Der Streit um die Positivliste wird sich jedoch hinziehen. Eine erste Vorschlagsliste ist von der Kommission bis 30. Juni 2001 zu erarbeiten. Dann muss die Liste noch den Bundesrat passieren. Das war zwar so nicht vorgesehen, aber wegen eines formalen Fehlers – beim Vorstellen der Gesetzesvorlage im vergangenen Jahr hatten nicht alle Abgeordneten alle Kopien erhalten – können die Länder noch entscheidenden Einfluss nehmen.

So besteht auch die Möglichkeit, dass die Liste letztendlich über Jahre auf Eis gelegt wird. Etwas Neues wäre das allerdings nicht: Die 1995 erarbeitete Positivliste wurde kurz vor In-Kraft-Treten aus Ängstlichkeit oder aufgrund guter Lobbyarbeit zurückgezogen. All das macht auch Axel Wunsch von der Barmer Ersatzkasse skeptisch: „Ich glaube nicht, dass die Liste das Licht der Welt erblickt.“ HOLGER KLEMM