Radeln in bierseliger Idylle

Vielfältiger und billiger als hier bekommt man Bier nirgends. Eine Reise durch die Fränkische Schweiz mit schweren Beinen und deftiger Küche wie Sauerbraten in Lebkuchensauce
von NICOLA LIEBERT

Unsere fränkische Reise beginnt im Kloster Vierzehnheiligen nahe Lichtenfels. Das weiß-goldene Innere der imposanten Barockkirche – eines der Prachtwerke von Balthasar Neumann – ist durchflutet von Sonne. Die vielen Pilger im Kloster sind an ihren frommen Buttons zu erkennen. Allein, den Segen von oben zu erbitten hat nicht gefruchtet. Draußen ein letzter Sonnengruß: Am Himmel häufen sich die barocken Wolkengebirge, zwischen denen hindurch drei Sonnenstrahlen eine Lichtpyramide bilden – ganz wie auf den Deckengemälden drinnen. Dann regnet es. Immer und immer wieder. Der Regen wird uns wie das Bier auf unserer Reise durch die fränkische Schweiz begleiten.

Gleich hinter der Kirche lädt die Klosterbrauerei zur Einkehr. Von nun an wird uns das Bier vor dem Regen schützen, denn immerhin sind wir mit dem Fahrrad unterwegs. Und warum auch nicht – abwechslungsreicher und zugleich billiger als hier bekommt man Bier nirgends. Wo sonst gibt es den halben Liter noch deutlich unter drei Mark? Mit ihren 72 Braustätten – die erfreulicherweise fast alle gleich eine Gaststube mit dabei haben – weist die Fränkische Schweiz die höchste Brauereidichte der Welt auf.

Zum Beispiel Hübner Bräu in Steinfeld, „am Ursprung der Wiesent“. Auf das richtige Wasser legen die Brauer schon immer viel Wert. Die Wiesentquelle ist fünfzig Meter entfernt. Wir haben das Wasser getestet und für gut befunden. Aus dem weichen Wiesentwasser machen die Hübners ein bernsteinfarbenes, leicht malzsüßes Bier, das hier Vollbier heißt. Ist der Steinkrug (Seidla) geleert, legt man ihn quer auf den Tisch und signalisiert so die nächste Bestellung.

Von Gasthof zu Gasthof ist es glücklicherweise in der fränkischen Schweiz nie weiter als drei bis vier Kilometer. Das Radeln dazwischen ist anstrengender als sonst, weil das Bier sofort einen bleiartigen Aggregatzustand annimmt und sich in den Schenkeln absetzt. Dennoch lohnt es sich, den Kampf gegen die Steigung aufzunehmen. Die Täler von Wiesent, Trubach oder Aufseß sind nicht anders als in romantischer Manier lieblich zu nennen. Die unbegradigten Flüsschen winden sich durch Wiesen und handtuchschmale Äcker, je weiter flussaufwärts man fährt, desto enger kommen die Berge heran mit einem Mischwald bewachsen, der im Frühling in einer unglaublichen Vielzahl von Grüntönen schimmert. Und dann kommen die Felsen hervor, ganze Klippen, die die Straße einklemmen.

Die Fränkische Schweiz ist nicht nur das Land der Brauereien, sondern auch der Mühlen, die entlang der Flüsschen immer wieder auftauchen. Wo das Tal des Weismains am engsten wird, steht tief unten zwischen den Felsen zum Beispiel die Weihersmühle, die den „Gasthof Forelle“ beherbergt. Wie in vielen dieser Mühlen steht das Wasserrad zwar still, dafür serviert man hier Forelle oder Karpfen vom Feinsten: blau, Müllerin, in heißem Fett ausgebacken, oder geräuchert. Ein arger Faux-pas wäre es jedoch, in dieser Gegend des Biers zum Fisch Wein zu trinken.

Weiter geht es, vorbei an zahlreichen Burgen, die die engen Täler beherrschen – Schloss Greifenstein etwa, wo die Stauffenbergs zu Hause sind, Burg Oberaufseß und Burg Unteraufseß, Rabeneck und Nedenstein. Zu besichtigen sind die meisten leider nicht, weil sie nämlich noch standesgemäß bewohnt werden. Völlig erledigt erreichen wir die Brauerei Reichold in Hochstahl bei Aufseß. Der alte und der junge Reichold betreiben hier, wie es durchaus typisch ist für die kleinen Privatbrauereien, auch eine Landwirtschaft. „Mit 38,5 Stunden kommt man nicht hin“, sagt der gar nicht so alte Reichold bedächtig.

Die hofeigenen Schweine serviert Frau Reichold abends in Form von Braten mit dicker brauner Sauce in der großen Gaststube zum Bier, vorneweg eine Leberknödelsuppe. So viele Kalorien wir auch heute auf den kräftigen Steigungen verbrannt haben mögen – hier steht man nicht so leicht hungrig auf. Und dann gibt es auch noch Fremdenzimmer bei Familie Reichold. Heimelig unter dem Dach, schlicht und günstig. Nach deftigem Essen und langer Fahrt schaffen wir die Stufen hinauf gerade noch.

Weiter geht es am nächsten Tag nach Gößweinstein. Unterwegs Ganz besonders durstig, aber auch hungrig sind die Besucher die zu Fuß kommen: die Pilger, die von Ebermannstadt nach Gößweinstein wandern. In Gruppen zu rund 100 Leuten ziehen sie, begleitet von einem kleinen Blasorchester in den Wallfahrtsort ein. Die barocke Basilika, auch sie ein Meisterwerk von Balthasar Neumann, ist umringt von Gaststätten, zum Teil edlen Restaurants wie dem „Gasthof zur Post“, wo einem der mehrfach preisgekrönte Koch die Spezialitäten der Region serviert, etwa altfränkische Schwarzbrotsuppe und danach Sauerbraten in Lebkuchensauce mit den hier unvermeidlichen rohen Kartoffelklößen.

Wo die Felsformationen besonders bizarr und romantisch sind, da hat bereits im 18. Jahrhundert die Markgräfin Wilhelmine die vorhandenen Naturschönheiten zum ersten Lustgarten des europäischen Festlands verwandeln lassen mit Lustschlösschen, Aussichtspunkten und einem Freilichttheater auf einer Felsbühne. Sanspareil, ohnegleichen zu deutsch, liegt nur etwa 25 Kilometer westlich von Bayreuth.

In der Fränkischen Schweiz ist die Romantik zu Hause. Angefangen hat das mit den Schriftstellern Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder, die als Studenten die Gegend, die damals noch prosaisch Muggendorfer Gebürg hieß, zu Pfingsten anno 1793 bereisten. „Das Rauschen des Waldes, ein Bach, der vom Felsen fließt, eine Klippe, die im Tal aufspringt – es kann mich in einen Taumel versetzen, der fast an Wahnsinn grenzt“, schwärmte Tieck. Ernst Moritz Arndt („heilige Natur“) und Jean Paul taten das ihrige, um hier einen der ersten Tourismusbooms auszulösen. Die ersten Reiseführer wurden Anfang des 19. Jahrhunderts verfasst, und – in Unkenntnis oder nur vagen Vorstellungen der echten Schweiz – wurde darin das fränkische Gebürg bald als „Schweiz“ überhöht.

Noch romantischer dünkt sich die Landschaft durch die vielen Schlösser und Burgen, die oberhalb der Täler die Felsen besetzen, darunter auch die barocke Burg der Stauffenbergs. Dazwischen immer wieder kleine Weiler aus Fachwerkhäusern, und jeder davon hat seinen eigenen Gasthof. Deutsche Gemütlichkeit und Idylle pur. Die Gasthöfe sind funktional. Oft sind sie ein moderner Anbau an einem Wohnhaus, mit praktisch zu säubernden Resopaltischen und einem winzigen Tresen in der Ecke – moderner Schnickschnack hat in dieser Gegend noch nicht Einzug gehalten. Hier triumphiert der schlichte Schick des Wirtschaftswunders.

Wozu auch, das Bier spricht für sich. Das Kellerbier, eine weitere Spezialität der Region, trinkt man am stilvollsten im mittelalterlichen Städtchen Forchheim auf dem Kellerberg. Das Kellerbier ist hell, trüb und ziemlich bitter. Früher, als es noch keine Kühlanlagen gab, wurde es im Sommer zum Reifen in die Kellergewölbe gebracht, die unter den Sandstein gegraben wurden, zusätzlich beschattet von hohen Bäumen.

Wo das Bier schon mal dort war, lag es nahe, auch die Konsumenten dorthin zu bringen. Auf den Kellern entstanden so die schönsten Biergärten, der Kronenkeller zum Beispiel, der Hebendanzkeller oder der Schäffkeller. Bei Regen kann man immer noch in die zumeist hölzernen „Hüttla“ einkehren. In den langen, eiskalten und feuchten Gängen unter Tag werden nur noch ein paar Fässer für den Ausschank gelagert. Sie sind aus Plastik, die alten Holzfässer finden jetzt als Blumenkübel Verwendung. Sie waren zu aufwendig zu pflegen, erklärt die Wirtin von Greifs Keller, und einige Gäste hätten sich über die schwarzen Spuren im Bier zu sehr aufgeregt, die das Dichtungspech gelegentlich hinterlassen hat. Das Kellerbier ist ungewöhnlich, denn es enthält für deutsche Verhältnisse sehr wenig Kohlensäure. Am besten lässt man sich zum Bier eine anständige Brotzeit servieren: Wurst und Schinken satt. Besonders empfehlenswert ist Zwetschgenbames, auf Zwetschgenzweigen geräucherter, hochzarter Rinderschinken. Auch die Bratwürste auf Kraut, die hier viel dicker als die winzigen Nürnberger sind, gehören dazu.

Hinweis:Mit ihren 72 Braustätten weist die Fränkische Schweiz die höchste Brauereidichte der Welt auf. Ein beruhigender Umstand.

Zitat:„Das Rauschen des Waldes, ein Bach, der vom Felsen fließt ... kann mich in einen Taumel versetzen,“ schwärmte der Romantiker Ludwig Tieck