Kein Gesetz im Dschungel

Politiker, Soldaten, Rebellen oder Banditen – im „Wilden Süden“ der Philippinen gibt es da kaum Unterschiede

aus Basilan JUTTA LIETSCH

Immer wenn es Ärger auf der Insel gibt, ist Gouverneur Akbar Wahab sofort zur Stelle. Das war zum Beispiel im vergangenen Jahr so, nachdem der Bürgermeister des Städtchens Sumisip seinem Stellvertreter einen ungedeckten Scheck ausgestellt hatte und sich die Leibwachen der beiden Politiker daraufhin im örtlichen Rathaus beschossen. Als neun Männer tot und zwei schwer verletzt auf den Fluren lagen, traf der Gouverneur ein, sprach ein Machtwort und die Waffen verstummten. Der Bürgermeister und sein Stellvertreter wurden zur Strafe vier Wochen lang vom Dienst suspendiert, inzwischen arbeiten sie wieder friedlich Tür an Tür.

Für Provinzchef Akbar Wahab sind solche Krisen kaum mehr als eine ärgerliche Störung, eine Kleinigkeit, mit der man leicht fertig wird. Seit zwei Jahren regiert er auf Basilan, einem der gefährlichsten Orte der Welt. Denn auf Basilan brodelt ein explosives Gemisch aus Armut und Gesetzlosigkeit, hier bestimmen die Traditionen von Piraten, Fanatikern und Halunken den Alltag. Hinzu kommen religiöse Spannungen; ethnische Gruppen mit unterschiedlichen Sprachen und Religionen leben an der Küste und im Inland. Ein Drittel der Inselbevölkerung ist christlich, der Rest muslimisch. Soziale Ungerechtigkeit und der Zorn alteingesessener muslimischer Bauern und Fischer auf katholische Zuwanderer aus anderen Provinzen haben in den letzen Jahren immer wieder Rebellionen genährt.

Der 41-jährige Wahab ist mit dem Versprechen angetreten, Frieden auf die Insel zu bringen. Seine größte Herausforderung: Basilan ist die Hochburg der Abu-Sayyaf-Guerilla, die derzeit mit Entführungen die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zieht. Von den 50 Schulkindern, Priestern und Lehrerinnen, die sie im März aus einer Schule kidnappte, sind bis heute neun Geiseln in ihrer Gewalt. Als die Regierungsarmee im April versuchte, die Geiseln zu befreien, schlug „Abu Sayyaf“ ein zweites Mal zu: Ein Kommando überfiel die malaysische Taucherinsel Sipadan und verschleppte 21 Touristen und Angestellte eines Ferienresorts auf die philippinische Nachbarinsel Jolo, wo sie bis heute festgehalten werden. Der verlockende Duft des Geldes macht fremde Besucher und Touristen seit langem zum lohnenden Entführungsobjekt.

Für die Armee hat der Gouverneur nur ein süffisantes Lächeln übrig

Mit seinen rund 240.000 Einwohnern gehört Basilan zu den wildesten und malerischsten Flecken Erde im „Wilden Süden“, wie die Filipinos diese Region auch nennen. Das Schnellboot von der Hauptinsel Mindanao braucht nur eine halbe Stunde. Mangrovensümpfe säumen die Küsten; Frachtschiffe, Fischkutter und Einbäume dümpeln vor dem Hafen der winzigen Provinzhauptstadt Isabela, Stelzenhäuser schieben sich bis zum Pier heran. In den Hügeln liegen Kautschuk- und Kokosnussplantagen, wachsen Mahagoni und Mangobäume, Kaffee und schwarzer Pfeffer. Wenn es regnet – das Wetter wechselt oft viermal am Tag –, verwandelt sich die Insel in eine heiße dampfende Sauna. Die Wege aus gestampfter Erde versinken im Schlamm. „Ein Albtraum für die Armee“, sagt Brigadegeneral Glicerio Sua, der die Einsätze von rund 2.500 Regierungssoldaten gegen die Aufständischen auf Basilan kommandiert. Bei schlechtem Wetter haben Gruppen wie „Abu Sayyaf“ leichtes Spiel, weil sie das Gelände kennen wie ihre Patronentasche.

Deshalb hat das Militär das Angebot des Gouverneurs gern angenommen, seine Privatarmee als Kundschafter zur Verfügung zu stellen. In seinem Büro im „Capitol“, dem Sitz der Provinzregierung von Basilan, erlaubt sich Gouverneur Akbar Wahab ein überlegenes Lächeln über die Fähigkeiten der Militärs: „Bis die erst den Weg auf ihren Landkarten gefunden haben“, sagt er, „sind die Banditen längst über alle Berge. Ohne uns kann die Armee gar nichts ausrichten.“ 500 Mann soll die schwer bewaffnete Privatgarde Wahabs zählen. Bestätigen will der Gouverneur das nicht – aber auch nicht dementieren. Auf dem Parkplatz vor dem Capitol, im Foyer und in den Gängen des Regierungsgebäudes bis hinein ins Vorzimmer jedenfalls wimmelt es von Männern in Uniformen, deren Finger am Abzug ihrer Maschinenpistolen spielen. Die Warnschilder „Gewehre und tödliche Waffen sind im Capitol streng verboten“ wirken wie Hohn. In den letzten Wochen sind mehrfach Sprengkörper vor dem Capitol explodiert.

Nur wenige Minuten entfernt wohnt der Clan der Janjalanis, die zu den berüchtigsten Söhnen der Insel zählen. Aus einem der unscheinbaren einstöckigen Häuschen stammte der muslimische Prediger Abdurajak Janjalani, der Anfang der Neunzigerjahre die Abu-Sayyaf-Guerilla gegründet hatte und 1998 von der Polizei erschossen wurde. Offiziell ist sein jüngerer Bruder Ghadaffi inzwischen an seine Stelle getreten. In Wahrheit ist der Anführer der locker organisierten Truppe, deren harter Kern auf Basilan inzwischen auf rund 100 geschätzt wird, ein anderer: Abu Sabaya, ein ehemaliger Student der Kriminologie. Mit der Abu-Sayyaf-Fraktion auf Jolo, wo die ausländischen Touristen gefangen gehalten werden, verbinden ihn enge Bande: „Kommandant Robot“, der dort die Kidnappertruppe anführt, ist sein Onkel.

„Tot oder lebendig“ – eine Million Peso Kopfgeld für die Anführer

Sie alle haben mit einem Gegner zu tun, der ganz nach dem Herzen des philippinischen Präsidenten Joseph Estrada ist. Mit den schwarzen Bürstenhaaren und kurzem Kinnbärtchen, dem weißen T-Shirt über den Jeans, den blauen Hosenträgern mit weißen Sternchen und dem amüsiert-selbstsicheren Blick verkörpert Gouverneur Wahab genau jene Rolle, die den ehemaligen Schauspieler Estrada in seinem Land berühmt machte und die er immer wieder gern gespielt hat: ein Mann, der sich im Kampf gegen das Böse über alle Konventionen und Regeln hinwegsetzt und das Recht in die eigene Hand nimmt.

Stimmt es, dass der Gouverneur jedem 30.000 Peso (rund 1.700 Mark, das Dreifache des Monatslohns eines höheren Polizisten) versprochen hat, der ihm einen Kämpfer der Abu-Sayyaf-Gruppe „tot oder lebendig“ bringt, und eine Million für die Anführer? „So habe ich das nicht formuliert“, korrigiert Wahab mit feinem Lächeln. „Ich habe gesagt: Wer mir einen der Führer bringt, der wird Millionär.“

Was geschieht mit seinen Gefangenen? „Da gibt es verschiedene Möglichkeiten“, sagt Wahab. „Wenn sie sehr jung sind, lasse ich sie nach Hause gehen.“ Die Älteren? „Einige kommen vielleicht ins Gefängnis.“ Vielleicht? Wahab blickt auf die goldene Zigarettenspitze, die er während des Gesprächs bedächtig auseinanderschraubt, reinigt, anhaucht, poliert und wieder zusammensetzt: „ . . .Oder sie sterben.“ Denn den Süden der Philippinen, erklärt er seine Philosophie, könne man nicht regieren wie den Rest des Landes. „Die Verfassung passt nicht für uns, die Polizei und Armee können nicht zugreifen, weil sie sich an zu viele Vorschriften halten müssen.“ Stattdessen hält sich der Gouverneur an das „viel wirksamere Rechtssystem Malaysias: Da gilt der Verdächtige als schuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist“.

Hier in der Region überlebt nur, wer zuerst schießt und dann fragt, die modernsten Waffen besitzt und zugleich den Schutz der herrschenden Familien geniesst. „Die Abu-Sayyaf-Gruppe kann“, sagt Wahab, „so lange überleben, weil auf ihre Familienmitglieder Verlass ist.“ Kein Verwandter würde es wagen, ihnen die Hilfe zu verwehren.

Die Gegner kennen sich von früher. Gemeinsam haben sie töten geübt

Die Gewalt auf Basilan prägte auch die Jugend des Gouverneurs. Als Akbar Wahabs Vater, ein Bauer, sich in den Sechzigerjahren „der Revolution“ anschloss, um mit der ersten muslimischen Guerilla, der „Moro National Liberation Front“ (MNLF) gegen die neuen Plantagenbesitzer und ihre Herren in Manila zu kämpfen, griff auch der Sohn zur Waffe: „Ich habe mit elf Jahren angefangen zu kämpfen.“ Es war diese Unabhängigkeitsbewegung, die 1996 Frieden mit Manila schloss, aus der heute fast alle wichtigen Akteure in diesem blutigen Konflikt stammen: Sie wurden entweder Politiker oder Geschäftsleute, Abu-Sayyaf-Kämpfer oder Armeesoldaten, muslimische Prediger oder Banditen. Deshalb kennt der Gouverneur seine Feinde genau: Er hat mit ihnen in Libyen im Hörsaal gesessen und islamisches Recht studiert; er hat gemeinsam mit ihnen gelernt, wie man eine Kalaschnikow blitzschnell zusammensetzt; und er hat mit ihnen geübt, wie man einem Gegner die Kehle durchschneidet. Wahab war sogar, was er allerdings nicht erzählt, geistlicher Berater von „Abu Sayyaf“ – bevor er sich mit ihnen zerstritt.

Auch der Vorsitzende des „Höchsten Rates der Islamischen Religionslehrer“ von Basilan, Abdulmumin Mujahid, wurde in Tripolis ausgebildet, wo er bis 1992 acht Jahre lang lebte. Empört weist der schmale Mann in dem weißen Gewand den Vorwurf vieler Christen zurück, die Muslime hätten sich nicht deutlich genug von den Grausamkeiten der „Abu Sayyaf“ distanziert: „Das stimmt nicht!“, beteuert er, „im Gegenteil: Wir rufen es immer und immer wieder in die Welt hinaus, bei unseren Predigten, im Radio und anderswo: Unschuldige Menschen zu entführen, zu quälen und zu töten, verstößt gegen die Vorschriften des Koran. Es ist unislamisch.“ Wie seine christlichen Kollegen in der Region fürchtet Religionslehrer Mujahid, dass die Abu-Sayyaf-Überfälle die Spannungen zwischen Christen und Muslimen noch anheizen. Schon forderte „Abu Sayyaf“, alle Kreuze von Kirchen, Gedenksteinen und öffentlichen Gebäuden zu entfernen. Auf der anderen Seite wird der Ruf nach Rache lauter: In anderen Orten der Region sind inzwischen Flugblätter christlicher Milizen aufgetaucht, die ein „muslimfreies Mindanao“ fordern.

Gouverneur Wahab arbeitet derweil bereits an seinem neuesten Projekt: Er wird mit übergelaufenen Banditen und Guerillasoldaten eine neue Bürgerwehr organisieren. Sie soll unter seinem direkten Befehl stehen und in allen Dörfern aktiv werden. An Gewehren mangelt es nicht. Obwohl der Gouverneur behauptet, „keinen Pfennig“ zu besitzen, versorgt er die Milizen großzügig mit Waffen. Aus seinem Provinzhaushalt will er die Gehälter der Söldner bezahlen. Was die Armee von seinen Plänen hält, im Namen des Friedens noch mehr Waffen unter das Volk zu verteilen, kümmert ihn nicht: „Die wird sich schon damit abfinden.“