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: WLADIMIR KAMINER über Frühstück

SIBIRIEN UND DIE KÄSEBRIGADE

Jeden Tag nach dem Frühstück mache ich meinen Rundfunkempfänger an und lausche den Nachrichten aus meiner Heimat. Von besonderem Interesse ist für mich zurzeit, ob die sibirischen Bewohner, die vor zwei Monaten in einen Hungerstreik traten, noch am Leben sind. Sie hatten in Krasnojarsk aus Protest gegen die Kälte den Hungerstreik angekündigt, und danach habe ich nichts mehr von ihnen gehört.

Dieses Gebiet wird seit November vorigen Jahres nicht mehr mit Strom versorgt, weil die Regierung die Stromrechnungen nicht bezahlt hatte. Der Gouverneur General Lebed sagte daraufhin dem Frost und der Kälte den totalen Kampf an – und startete eine Kampagne für gesünderes Leben. Er selbst ging als gutes Beispiel voran, indem er jeden Tag öffentlich auf dem Eis joggte – bis der letzte Fernseher ausging.

Heute morgen gab es wieder mal was Neues über ihn. Ein bisschen Strom haben sie also doch noch, sonst würde ich die Stimme des Generals im Rundfunk gar nicht hören können.

„Ich werde persönlich dafür sorgen“, sagte der General, „dass die Wärme in unserem Gebiet in kürzester Zeit wiederhergestellt wird.“ Das hat er schön ausgedrückt. Mit „Wärme“ meint der General natürlich nicht die Stromversorgung, sondern den Sommer.

Er spielt ein Spiel, das man gar nicht verlieren kann. Ende April waren die Menschen in Sibirien schon immer gespannt – alles dreht sich nur noch um das eine: Kommt nun der Sommer oder nicht?

Sollte dies der Fall sein und der Sommer kommt wirklich, dann wird der General sagen: „Seht ihr, das war für mich nicht leicht gewesen, aber was tut man nicht alles für sein Volk.“

Wenn aber der Sommer dieses Jahr Sibirien meidet, wird der General sagen: „Die Kräfte der Natur sind stärker als die Gesetze der Wirtschaft und der Politik, wir müssen vor diesen Kräften den Hut ziehen.“

Er ist ein weitsichtiger Politiker. Lebed hat + 4 Dioptrien. Doch eine Brille zu tragen kommt für den General nicht in Frage, und Kontaktlinsen halten in der sibirischen Kälte nicht lange. Deswegen hat er sich in seinen BMW + 4-Dioptrien-Glasscheiben einbauen lassen.

Ein Bekannter meines Vaters, ein Offizier, der einmal im Auto des Generals saß, erzählte: Für einen Menschen mit normaler Sehkraft ist das derart unerträglich, dass er schon nach zehn Minuten kotzen muss.

Ein Glück, dass ich nicht in Sibirien lebe! Bei uns in der Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg ist das ganze Jahr über schönes Wetter angesagt, die extrem vielen Autos, die Tag und Nacht auf der Allee fahren, erhöhen die Außentemperatur um einiges, und die U-Bahnen bremsen den Wind ab.

An jeder Ecke werden Kuchen gebacken und verkauft, im Ostrowski sogar am Sonntag, und nachts kann man sich im Burger King schräg gegenüber von unserem Haus ernähren. Dieses Gefühl kennt man in Sibirien gar nicht: Plötzlich wachst du um drei Uhr nachts mit einem Hungergefühl auf und gehst einfach auf einen Snack rüber ins Schnellrestaurant.

Die ganze Brigade stand vor der Tür, als ich letzte Nacht dort aufkreuzte: „Guten Morgen, möchten Sie vielleicht ein paar Cheeseburger kaufen, ganz frisch – zum halben Preis? Oder fünf Stück für fünf Mark, was halten Sie davon?“

Ich wurde wegen solch ungewöhnlich hoher Aufmerksamkeit verlegen. Der King macht doch sonst nie Sonderangebote. Vielleicht halten sie mich für einen anderen. „Wieso?“, fragte ich, „was ist denn los?“

„Eine typische Geschichte für diese Gegend, eigentlich nichts Besonderes“, sagte die Chefin. „Die Produkte sind nämlich wirklich frisch. Vor einer halben Stunde riefen uns irgendwelche Jungs an und bestellten 100 Cheeseburger für eine Party. Kurz vor Ihnen kamen sie, um die Waren abzuholen, und wollten mit einem falschen 500-Mark-Schein zahlen, da habe ich sie wieder weggeschickt.“

„Na gut“, sagte ich. „Fünf Cheeseburger zum Mitnehmen, aber bitte ohne Käse, den mag ich nämlich nicht.“

„Den Käse machen wir Ihnen gerne weg“, freute sich die Brigade.