Alles über Mutter

„In einer Familie“ war Heinrich Manns erster Roman. Jetzt erscheint eine Neuauflage des verschollenen Debüts aus den Jahren 1892/93

von FRAUKE MEYER-GOSAU

Major von Grubeck, ein noch ganz gut erhaltener Fünfziger, hat eine Pechsträhne. Erst stirbt ihm die Gattin und lässt ihn mit der schon fast erwachsenen Tochter Anna zurück. Dann macht er bei einem Manöver einen Fehler und muss seinen Abschied nehmen. Und statt nun wenigstens das Geld zusammenzuhalten, verspielt er in einer Nacht das Vermögen seiner Frau – selber hat er keins. Da hat der Major ein Problem.

Und bald eine Lösung. Denn da ist die etwas wächserne Mittzwanzigerin Dora. Ihr Vater hat sie, Tochter einer Kreolin und eines Europäers, von Südamerika erst nach Amerika, dann nach Europa gebracht, um sie endlich zu verheiraten. Geld hat sie genug, so weit ist alles in Ordnung. Aber mit den Männern hat Dora ihre eigene Art: Kaum ist einer für sie entflammt, lässt sie ihn hängen und stachelt schon den nächsten an, dem es dann ebenso ergeht.

Kein Wunder, dass der Vater sich Sorgen macht. Daher ist er sehr zufrieden, als der Major auftaucht und vor Doras Augen wenigstens insoweit Gnade findet, dass sie einwilligt, ihn zu heiraten. Damit hat der zwar sein vordringliches Problem gelöst. Stattdessen aber wird er bald eine Menge anderer am Halse haben.

Mit seiner Tochter zum Beispiel, einer freundlichen Person, schlicht und offenherzig, doch von stiller Entschiedenheit. Nie hätte man zu glauben gewagt, dass sie sich in einsamen Stunden zur Sozialistin herangebildet hat. Aber dass sie die herzenskalte und zur Frömmelei neigende junge Stiefmutter allenfalls formell akzeptiert, ist klar. So herrscht also gar keine nette Atmosphäre im Hause v. Grubeck, stumm verfeindet leben die Frauen neben dem Major.

Mit Erich Wellkamp kommen dann alle stillschweigenden Übereinkünfte dieses bürgerlichen Lebens ins Trudeln. Dabei hat auch Erich seine Probleme. Seit an den Tag gekommen ist, dass er und sein Vater dieselbe Geliebte hatten, hat er keine Familie mehr. So bereist er die Welt und fühlt sich immer wieder gerade von den schlimmen Frauen angezogen. Bis er Anna trifft. Mit ihr könnte alles anders werden, still und fest, wie sie ist. Nach ein paar Wochen in Bad Kreuth macht Wellkamp Anna einen Antrag, das Glück scheint zum Greifen nah. Doch da ist noch Dora, und alles wird einen furchtbaren Verlauf nehmen: für Anna, für den Major und natürlich für Erich, der zwar ein schwacher, aber bestimmt kein schlechter Mensch ist ...

21 Jahre alt war Heinrich Mann, als er seinen ersten Roman mit dem Titel „In einer Familie“ 1892/93 verfasste. Wäre es nach dem 1891 verstorbenen Konsul Mann gegangen, wäre es so weit nie gekommen: „Den Neigungen meines ältesten Sohnes zu einer s. g. literarischen Thätigkeit ist entgegenzutreten“, hatte er verfügt. Die Konsulin aber – vom Sohn in der Figur Dora wenig schmeichelhaft porträtiert – zahlte dem Verleger auch noch exorbitante 500 Mark, damit das Werk erscheinen konnte. Darin ist rührend zu sehen, wie Heinrich Mann sich müht zu erklären, wie die Menschen so sind und warum – besonders natürlich das dämonische Weib.

Lange Erläuterungen muss man da immer wieder über sich ergehen lassen, die nicht selten mit einem „Hat nicht ein jeder Mensch ...“ beginnen und in angelesenen Lebensweisheiten münden. Das macht die Lektüre etwas anstrengend, zumal Heinrich Mann in seinem mildernden Erläuterungsbedürfnis die ziemlich wüst angelegte Geschichte natürlich niemals wirklich wüst werden lassen kann: „Die Bildung, die das Unglück gibt, ist so grausam unverwischlich!“

Das, mitsamt ein paar dezenten Andeutungen des unverwischlich Grausamen, muss genügen. Spannend ist der Roman allerdings darin, dass alle Beziehungen sich nur auf Projektionen gründen: Figuren im literarischen Sinne gibt es kaum, allenfalls Vorstellungsballungen und Klischees, und die Familie ist ein Treibhaus von sexuellen Wünschen und Ängsten, die offenkundig Heinrich Manns eigene waren – literarisiert, aber in sich kaum verändert, begegnet man ihnen im „Professor Unrat“ und im „Untertan“ wieder. Wer also Lust auf ein bisschen Autor-Seelen-Voyeurismus hat, kann hier ein Buch wieder entdecken, das seit den Zwanzigerjahren vergriffen, verschollen und vergessen war.

Das Schönste daran ist schließlich, wie sich Heinrich Manns Feder sträubt, wenn er den narzisstischen Wellkamp mit der kernfesten Anna glückhaft wieder zusammenführen muss: „Er kniete jetzt noch vor ihr, wie wohl ein Beter vor einer Madonna, die ein Wunder gethan. Aber er hatte ein Leben vor sich, um sich aufzurichten an der Stärke eines Frauenherzens, welches liebt und vergibt.“ Da tut er einem dann richtig leid, der Erich.

Heinrich Mann: „In einer Familie“. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000, 329 Seiten, 44 DM