Ist Gott ein Schürzenjäger?

Siebzehn Jahre alt ist der Roman „Ein Bankett mit Seegras“ des Syrers Haidar Haidar. Nun steht er im Mittelpunkt der größten ägyptischen Studentenunruhen seit dem Golfkrieg

von THOMAS DREGER

Eigentlich ist Kairos al-Ashar-Universität ein Ort der Ruhe und stillen Einkehr. Dozenten lehren hier ihre Schüler die Grundlagen und Interpretationen des Islam. Doch seit Anfang des Monats gärt es an der ehrwürdigen Institution. Der Grund ist ein Roman – oder besser: von Islamisten verbreitete selektive Informationen über den Inhalt eines Romans.

„Ein Bankett mit Seegras“ heißt das Werk und Haidar Haidar sein Autor, der inzwischen als „neuer Salman Rushdie“ bezeichnet wird. 1983 erschien das Buch des syrischen Literaten zuerst in Beirut und in Damaskus. Haidar Haidar beschreibt einen Aktivisten der irakischen Kommunistischen Partei, der Augenzeuge eines Massakers an seinen Genossen in Bagdad wird. Desillusioniert durch den erfolglosen Kampf und den Niedergang des Vorbildes Algerien in den Händen korrupter Ex-Befreiungskämpfer, sucht der Protagonist eine neue Wahrheit im Islam. Kritiker beschreiben das Buch als Abrechnung mit arabischen Regimen und Ausdruck der Sehnsucht nach einer arabischen Renaissance.

Siebzehn Jahre regte das niemanden auf, und auch in Ägypten waren die libanesische und die syrische Ausgabe erhältlich. Doch dann erschien im vergangenen November eine Neuauflage des Buchs – und zwar in der vom ägyptischen Kulturministerium verantworteten renommierten Literaturreihe „Horizonte des Schreibens“. Damit wurden Ägyptens Islamisten aufmerksam. Zuerst geißelte die Wochenzeitschrift al-Usbuah (Die Woche) das Werk als „unislamisch“, dann legte die zweiwöchig erscheinende Islamistenpostille asch-Schaab (Das Volk) mit einer dreiteiligen Serie nach. Haidar Haidar habe in seinem Buch Gott als „Schürzenjäger“ und „verunglückten Künstler“ und den Propheten Muhammad als „Polygamisten“ geschmäht, behauptete das Blatt.

Anfang Mai zeigten die Berichte Wirkung. Mit Fotokopien der asch-Schaab-Texte in den Händen protestierten etwa 5.000 Studenten der al-Ashar zwei Tage lang gegen das Buch. „Mit unserer Seele, mit unserem Blut für den Islam“, skandierten sie und forderten, das Buch zu verbieten, den verantwortlichen Kulturminister Faruk Husni vor ein Militärgericht zu stellen und die diplomatischen Kontakte zu Syrien einzufrieren. Ägyptens Behörden reagierten gewohnt autoritär. Hunderte Polizisten wurden mit Schlagstöcken und Gummigeschossen auf die Demonstranten losgelassen. Das Ergebnis war eine veritable Straßenschlacht. Ausländische Korrespondenten berichteten von den größten Unruhen in Kairo seit den Antigolfkriegsprotesten 1991.

Doch trotz aller demonstrierten Härte knickten Ägyptens Behörden ein. Hatte es anfangs aus dem Kulturministerium noch geheißen, „Ein Bankett mit Seegras“ sei „einer der besten arabischen Romane des 20. Jahrhunderts“, kündigte Minister Faruk Husni inzwischen die Gründung einer Kommission an; sie soll untersuchen, ob das Buch den Islam beleidigt. Unklar ist derzeit, ob das Buch damit verboten ist oder nicht. So oder so, Haidars Buch ist in Kairoer Buchhandlungen mittlerweile nur noch unter dem Ladentisch erhältlich, ebenso wie das auf Druck von Islamisten verbotene „Die Kinder unseres Viertels“ des Literaturnobelpreisträgers Nagib Mahfus oder „Das nackte Brot“ des Marokkaners Mohamed Choukry.

Die Kampagne gegen sein Buch beruhe auf „völlig aus dem Kontext gerissenen Passagen“, meldete sich Haidar Haidar in der ägyptischen Wochenzeitschrift Achbar al-Adab (Literaturnachrichten) zu Wort. An die politische Führung gerichtet, schrieb er: „Wenn die Regierung nur einmal eindeutig Stellung beziehen würde, könnte das die ganze Angelegenheit lösen“, schließlich könne es „Meinungsfreiheit nicht unter Vorbehalt geben“.

Ägyptische Intellektuelle sehen das ähnlich. „Diese Schlacht ist nicht neu“, meint Hischam Kischta, Chefredaktuer des unabhängigen Kulturmagazins al-Kitaba al-Uchra (Das andere Schreiben). Es sei eine Schlacht „zwischen einer konservativen Gesellschaft, die schon immer faschistische Tendenzen hatte, und den rebellischen Intellektuellen, die nach Veränderung streben“. Tatsächlich tobt dieser Kampf in Ägypten seit Jahren – und er forderte Opfer: 1992 wurde der Islamistenkritiker Farag Foda vor seiner Haustür erschossen, und 1994 überlebte Ägyptens Vorzeigeliterat Nagib Mahfus nur knapp einen Mordanschlag. Prominente Intellektuelle wie der Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Seid oder der Filmemacher Jussef Schahin wurden ins Exil getrieben. „Irgendwann kommen wir an einen Punkt, an dem vor lauter Angst keiner mehr eine Zeile schreibt“, befürchtet der Literat Gamal al-Ghitani. Sein Name steht unter einem Aufruf rund tausend Intellektueller, die sich für die weitere Verbreitung von „Ein Bankett mit Seegras“ aussprechen.

Der Chef des Merit-Verlages, Muhammad Haschim, kündigte sogar an, tausend Exemplare des Romans zu drucken und auf den Markt zu bringen, egal wer sich darüber aufrege. Der Diskussion über Haidar Haidars Roman könnte das nur dienlich sein, denn die meisten demonstrierenden Studenten haben das Buch nie in den Händen gehalten.

Zitat:„Irgendwann kommen wir an einen Punkt, an dem vor lauter Angst keiner mehr eine Zeile schreibt.“