Realität der Vernichtung

Mit vier Dokus und einem Spielfilm fragt das Elbe Kino nach den Darstellungsmöglichkeiten der Shoah  ■ Von Georg Felix Harsch

Fünfzehn Jahre nach Claude Lanzmanns Shoah scheint die filmische Repräsentation des Holocaust weiter nach allen Seiten hin offen. Mittel und Zielsetzung einer Erzählung und Deutung der Ereignisse sind beinahe beliebig geworden, wo uns Guido Knopp noch den Hundefutterlieferanten Hitlers als Zeitzeugen präsentiert, um emotionale Nähe zum Thema und die Autorität eines Zeugnisses herzustellen.

Das Elbe-Kino zeigt nun in seiner „jüdischen Filmwoche“ recht repräsentativ, wie im Dokumentarfilm der letzten fünf Jahre die Shoah und jüdische Geschichte verhandelt wurden. Da-rüber hinaus betont die Reihe durch die Aufnahme eines jiddischsprachigen Spielfilms die Rolle, die der Film sowohl als Medium von Erinnerung als auch als eigenes Zeugnis spielt.

Mark Jonathan Harris The Long Way Home erzählt im klassischen Stil der historischen Dokumentation vom Weg der jüdischen Überlebenden zwischen Befreiung und der Gründung Israels. Historisches Material wird hier verbunden mit Interviews, von Schauspielern vorgelesenen Erinnerungen und einem Kommentar, der dem Film allerdings eine zu autoritative und geradlinige Geste verleiht. Entscheidend aber ist, dass mit The Long Way Home die filmische Erzählung dieses Abschnitts noch einmal begonnen wurde. Und dass er den handlungsstarken Überlebenswillen der Befreiten ebenso zeigt wie den Antisemitismus einiger ihrer Befreier und die Hilflosigkeit der aliierten Politik.

Auch das erste Produkt der Shoah Foundation, Die letzten Tage von James Moll, verlässt sich bei seinen Überlebenden-Porträts vor allem auf die emotionale Wirkung des klassischen Erzählkinos. Formal offener geht der einzige deutsche Film der Reihe Jeckes – die entfernten Verwandten von Jens Meurer sein Thema an, in dem eine der porträtierten deutschjüdischen Israelis mit der Frage „Wa-rum machen Sie diesen Film?“ das letzte Wort behält. Die krampfhafte, im Untertitel angedeutete Suche nach einer auch für Juden ungebrochen gültigen deutschen Identität hinterlässt aber ein ungutes Gefühl.

Dass die Erinnerung an die Shoah am wahrhaftigsten als persönliche filmisch dargestellt werden kann, ohne dabei sentimental-pädagogisch zu werden, zeigt Charles Najman mit den Mitteln des Cinéma Vérité. Ist die Erinnerung wasserlöslich? sucht weniger die Realität der Vernichtung als die des Überlebens. Solange Najman, die Mutter des Regisseurs, geht alle zwei Jahre zur Kur nach Evian. Diese Kur wird von der deutschen Regierung bezahlt, nachdem sie bei einer akribischen Untersuchung durch deutsche Ärzte ihre Traumata und gesundheitlichen Schäden als Folge ihrer Tortur in Auschwitz belegen muss. Die Perversion dieser Wiedergutmachungs-Idee legt der Film offen, indem er die sterile Atmosphäre des Kurbetriebs mit den Erinnerungen der anwesenden Überlebenden konterkariert. So ist dort von einer Behandlungsmethode die Rede, „bei der man für 50 Minuten in eine Isolationskammer kommt. Danach fühlt man sich wie neu geboren“. Frau Najman singt und tanzt, spielt mit der Kamera und möchte lachend die Kammer ausprobieren, auch wenn die Deutschen das nicht bezahlen. Und sie erinnert sich, erzählt von Auschwitz und Bergen-Belsen. Die Person Solange Najman vermittelt als bewusste Hauptdarstellerin im Film eine grandiose Vitalität, gleichzeitig macht sie die Undenkbarkeit einer auch nur zeitweisen Abwesenheit des deutschen Verbrechens überdeutlich.

Die Fiktion als Dokument des Abwesenden – diese Funktion kommt Joseph Greens berühmtem Spielfilm Yidl mitn Fidl von 1936 gleich mehrfach zu. Das überwiegend im Shtetl Kazimierz mit einheimischen Statisten gedrehte Musical ist ein Beispiel für die lebendige jiddischsprachige Kultur in Polen vor der Shoah, spart dabei aber in eingestreuten halbdokumentarischen Aufnahmen Armut und Elend dieses Lebens nicht aus. Die in allen Green-Filmen auffälligen Plotschwächen werden in der Geschichte einer wandernden Gruppe von Klezmorim vor allem von Itzig Mangers Songs und von Molly Picon mehr als ausgeglichen. Die Hauptdarstellerin spielt den Yidl mit für die 30er-Jahre unglaublich attraktivem Gender-bending und machte Yidl mitn Fidl sowohl in den USA als auch in Osteuropa zum erfolgreichsten jiddischsprachigen Film aller Zeiten. Für die Präsenz der Erinnerung an das größte Verbrechen und einschneidensten Kulturbruch, wie sie die dokumentarischen Filme der Reihe schaffen, ist auch Greens Film ein entscheidendes Dokument.

The Long Way Home: 18.+19. Mai, 18.30 Uhr; Die letzten Tage: 20.+21. Mai, 18.30 Uhr; Ist die Erinnerung wasserlöslich?: 22.+23. Mai, 18.30 Uhr; Jeckes – die entfernten Verwandten: 24. Mai, 18.30 Uhr; Yidl mitn Fidl: 23.+24. Mai, 20.30 Uhr; Elbe Kino