secondhand, humana, etc.
: Irgendwann bist du kein Punk mehr. Dann gehst du zu Karstadt

MEINE NACHTBLAUE LEVIS

Einmal hatte ich mir bei einem Haarschnitt einen Iro stehen lassen. Das sah aber so bescheuert aus, dass ich diese Frisur noch in der Nacht zu einer zeitgemäßen Glatze vervollständigte.

Ich will nicht übertreiben, ich war nie ein richtiger Punk, und auch in der Kleidung blieb ich immer bürgerlich: kein großes A im Kreis auf dem Rücken, kein FUCK HATE in weißer Wandfarbe auf die zerrissene schwarze Lederjacke gemalt. Nicht mal zu den inzwischen bis in die Spitzen der Gesellschaft vorgedrungenen Tätowierungen langte es bei mir. Nur die Hosen waren an den Knien eingerissen und am Arsch, vom T-Shirt waren die Ärmel abgetrennt und im Sommer hatte ich an den Füßen unsägliche türkische Badelatschen aus ekligem rosa Gummi.

Die gesamte Kleidung rekrutierte ich auf Flohmärkten, von Bekannten, die aussortierten. Secondhandläden waren schon ziemlicher Luxus. Die Optik, die sich aus einer solchen Auswahl der Bekleidung ergibt, ist jedem vertraut: weite schlabbrige Sachen von undefinierbarer Farbe und Form.

Aber die Zeiten ändern sich. Meine vorletzte Hose, die ich kaufte, war aus einem 2nd-Hand-Laden und ich war recht zufrieden. Hellbrauner Cordstoff, irgendwie gemütlich. Ein Loch war in der linken Tasche, nun ja. Was kann man erwarten von einer Hose für 20 Mark? Ich nähte das Loch zu und freute mich am Besitz einer vollwertigen Hose. Gut, sie war etwas weit, doch dafür hatte ich einen Gürtel. Dann war ein Loch in der rechten Tasche, an den Knien und am Hintern war sie sowieso schon dünn. Und die Nähte begannen sich aufzulösen. Ich fuhr zu Karstadt, ging zielstrebig in die Hosenabteilung und probierte eine dunkelblaue Levis an. Sie passte wie angegossen und kostete 160 Mark. Ich behielt sie gleich an und bezahlte mit dem sicheren Gefühl, diese Hose jetzt Jahre tragen zu können. Ich warf die andere verschlissene in den Mülleimer. Meine Freundin fand sie dort. „Die ist doch noch gut“, sagte sie und zog sie an. Nachdem ihr in der Kaufhalle das gesamte Kleingeld über den Fußboden gerollt war, das sie in eine Hosentasche gesteckt hatte, warf sie die Hose noch mal in den Mülleimer.

Als ich neulich Schuhe kaufen wollte, die alten hielten bei Nässe nicht dicht und hatten oben und unten beunruhigende Löcher, fragte ich meine Freundin, wo man die am günstigsten bekäme. „Flohmarkt. Secondhand. Humana.“, waren die Antworten. Ich warf einen Blick auf meine derzeitigen Treter und entschloss mich anders. Es gibt bestimmte Einsichten, die die gesamte Weltanschauung ändern. So war es, als der erste Mensch auf die aberwitzige Idee kam, die Erde sei eine Kugel, als jemand vermutete, Zeit sei relativ, wie alles andere auch. Und während ich auf meine zerlumpten Schuhe starrte, kam ich zu tiefen Einsichten in das Wesen von Verschleißprodukten: Natürlich sind sie gebraucht billiger, aber dann gehen sie auch bald kaputt.

So gab ich lieber 100 Mark für neue Schuhe inklusive Garantie aus, als für tolle gebrauchte, die ich erst für 100 Mark neu einledern lassen müsste. Wenn das Auto neue Reifen benötigt, dann tun es halt nicht irgendwelche abgefahrenen, jedenfalls nicht in den Augen der Polizei, die in dieser Richtung das Sagen hat.

Sicher gibt es auch doofe Sachen dabei: der beginnende Bauch, die festgefahrene zynische Weltsicht. Die dummen Sprüche und Weisheiten von früher: „You can’t always get what you want.“

Eine spezielle Lampe war das letzte Erlebnis mit dieser Entwicklung. Man muss so eine Folie reinmachen können und sie kostete 70 Mark. Als ich meiner Freundin davon erzählte, sagte sie, man könne sowas doch bauen. Was stimmt. Aber ich tue es nicht. FALKO HENNIG