: Triumph des Gartenzauns
Im Projekt „Schreber Jugend“ verfolgen 22 Künstler die Spuren Daniel Gottlieb Schrebers und anderer Reformer bis in die Gegenwart der Stadt. Die Rampe 003 am Rosa-Luxemburg-Platz ist die Projektzentrale
Auf den Spielplätzen einer Stadt erfährt man viel über den Umgang mit dem öffentlichen Raum. Manches Gerät, wie die Betonscheiben mit Löchern auf dem Spielplatz neben der Volksbühne, sieht eher nach Hundedrill denn nach Kinderspaß aus. Der Zaun und die Einfassung der Sandgruben zum Buddeln und Rutschen prägen das Bild am nachhaltigsten. Der „Kleine Holzweg“, den Ulla Klein dazu gebaut hat, zitiert diese Ordnung und nimmt zugleich Reißaus: Der Rote Steg durchbricht den Zaun und stößt an den Pavillion der Rampe 003. Das ist das erste begehbare „Link“ zwischen Spiel und Kunst im Projekt „Schreber Jugend“.
Die Rampe 003 ist die Zentrale des Projekts, das Annette Maechtel, Kristin Wergeland Krog und Julia Rahne initiiert haben. Die drei Kommunikationsdesignerinnen begrüßten die Gäste in Uniformen, die einen Status zwischen Parkaufsicht und Kindergärtnerin versprechen. „Wir experimentieren mit Alltagsräumen“, erläutert Maechtel das Konzept. Bei der Suche nach sprechenden Situationen im Stadtraum stießen sie im Wedding auf eine Vitrine der Schreberjugend e.V. zwischen Wohnblöcken, die in den Siebzigerjahren die Stadt nahe der Mauer wieder beleben sollten. „Die Wohnblöcke stehen wie Thesen im Stadtraum“, findet Maechtel und sieht diesen Ort neu zu lesen und mit Schrebers Reformansätzen zu konfrontieren als roten Faden. So werden in der zweiten Ausstellung ab 31. Mai Petra Trenkel, Annette Kisling und Ingeborg Lockemann das Sanierungsgebiet in Zeichnungen, Fotografien und einer Interpretation des Stadtplans beschreiben.
Doch wahrscheinlich gibt es so viele Ideen vom roten Faden des Projekts wie Beteiligte. 22 Designer, Theaterautoren, bildende und vortragende Künstler nehmen an den Veranstaltungen bis zum 23. Juli teil. Der erste Vortrag, „Schreber, ein Irrtum?“, den der Leipziger Kulturwissenschaftler Peter Lang vor der Vereinszentrale des Schreberjugend hielt, sorgte gleich für Zündstoff.
Daniel Gottlieb Moritz Schreber (1808 – 1861) war ein Arzt und Orthopäde, der in den „reißend schnell anschwellenden Städten“ und durch „modische Ablenkung“, „Vernichtung des kindlichen Sinns“, „weibische Ängstlichkeit“ und „blasierte Vornehmtuerei“ Gefahren für die körperliche und geistige Gesundheit der Jugend sah. Zur Korrektur von Haltungsschäden erfand er Geradehalter und Kinnbänder, die ihn in der Geschichte der schwarzen Pädagogik zum berüchtigten Vorläufer einer körperlichen Disziplinierung machten, die im soldatischen Mann gipfelte. Dagegen erinnerte Lang an Schrebers Forderungen von Spielplätzen in der Stadt, die als Freiraum gedacht waren. Die Eltern jedoch, die auf dem ersten „Schreberplatz“ in Leipzig (1865 eingeweiht) die Kinder beaufsichtigten, legten Blumenrabatten an. Irgendwann wurden mit Zäunen im Freigelände Besitz und Zuständigkeit abgeteilt. So verschmolz der Spielplatz mit der Kleingartenbewegung, die Reformpädagogik mit der Reform des Städtebaus. Nach Schrebers Tod erhielten die Laubenkolonien in den industriellen Ballungsgebieten seinen Namen. Dabei hatten Kleingärten nie zu seinem Programm gehört.
Über die Ehrenrettung Schrebers freute sich Herr Ehrenberg, Vorstand der Schreberjugend, die noch heute mit Kinderbauernhof, Zeltlagern und internationalen Jugendbegegnungen an den Namensgeber anknüpft. Als alte Sozis haben sie kein Problem mit Schrebers „sozialer Gesundheitslehre“. Empört war dagegen die Kulturwissenschaftlerin Kathrin Peters, dass Schrebers Verachtung der großstädtischen Kultur nicht mehr Kritik erfuhr.
Sie wird am 30. Juni in der Rampe 003 einen „Vortrag mit Möglichkeit zur Tischarbeit“ halten über das Fröbel-Spielzeug und unser Formempfinden. Fröbel, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Kindergarten erfand, legte auf streng geometrische Spielelemente Wert, die nichts nachahmen, aber viele Formen symbolisieren können. Erst vor wenigen Jahren wurde entdeckt, dass viele Begründer der Moderne wie Frank Lloyd Wright, Le Corbusier, Kandinsky und Braque als Kinder wahrscheinlich Fröbelspielzeug in den Fingern hatten.
Mit Kindern und Gärten beschäftigt sich auch die erste Ausstellung. Gegen ein Denken in Territorien und Parzellen versucht Bill Masuch die Fantasie mit „Mobilen Gärten“ zu mobilisieren, die auf Rollwagen Farn, Stauden und Blumen, ein Geschenk freundlicher Kleingärtner, in die Galerie gebracht haben. Britta Lumer hat Fotos nachgemalt, die ihr Vater, ein professioneller Fotograf, für Werbeanzeigen oder Postkarten inszenierte: Britta auf dem Esel, Britta mit Küken. Da ist die behauptete Naturnähe der Kinder nicht mehr zu trennen von der Sehnsucht der Erwachsenen nach den verlorenen Paradiesen.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Ausstellung von Bill Masuch, Britta Lummer, Rampe 003, Rosa-Luxemburg-Platz, bis 28. Mai.
Szenische Lesung aus dem Drehbuch „Die Lustgärten des Herrn Schreber“ von Kornel Miglus/Claudia Rinne am 4. Juni, 14 Uhr, neben der Vitrine auf dem Grünstreifen Stralsunder Straße. Infos unter www.rampe003.de
Hinweis:Gegen ein Denken in Territorien und Parzellen die Fantasie mit beweglichen Gärten mobilisieren
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