terroristen an bord von CHRISTIANE BEECK
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Früher, in sehr jungen Jahren, waren mir die Unterschiede zwischen Tourist und Terrorist nicht ganz klar. Der Sinn war damals eben noch nicht so wichtig. „Mama, in unserem Hotel sind aber ganz schön viele Terroristen.“ Meine Mutter, im ersten Moment etwas verwirrt, begann zu lachen. „Das sind Touristen, genau wie wir.“ Nun ja, rückblickend fällt einem dann allerdings auf, dass diese kindliche Verwechslung gar nicht so abwegig war. Touristen und Terroristen haben nämlich eine ganze Menge gemeinsam: Touristen sind Menschen, die unterwegs sind. Terroristen oftmals auch. Terroristen verbreiten Terror. Touristen auch. Sie terrorisieren Umwelt, Flughafenpersonal, Urlaubskellner und andere Touristen. Der einzige wirkliche Unterschied liegt in der Motivation. Terroristen verfolgen mit ihren Aktionen gewisse Ziele, Touristen gehen anderen Menschen einfach nur auf die Nüsse.

So bringt ein Charterflug beispielsweise eine Konfrontation mit diesen Unterwegsmenschen unausweichlich mit sich. Meist sitzt man, oft in aller Herrgottsfrühe, zwischen besockten Shortsträgern und parfümierten Damen mit riesigen schalenartigen Schminkkoffern. Endlich ist man „ready for boarding“ und darf Tomatensaft verzehren. Warum eigentlich Tomatensaft? Warum trinken im Flugzeug grundsätzlich alle Tomatensaft? Liegt es an der Farbe? Erinnert das satte Rot an den nahenden südlichen Sonnenuntergang? Oder ist es nur die Vorfreude auf unzählige Bloody Marys? Oder gibt es eine weitaus vernünftigere Erklärung? Durch die trockene Luft werde dem Körper Calcium entzogen, Tomatensaft wirke dem entgegen.

Um einen herum tauschen Urlauber, das Nachtschattengewächs-Getränk in der Hand, lautstark alte Urlaubserlebnisse aus: „... ganz toll im letzten Jahr. Und günstig war es auch. Und der Kostas hat ja lange in Deutschland gelebt. War alles tipptopp. Na ja, da haben der Dieter und ich gleich wieder gebucht.“ Man sieht die beiden schon vor sich: wie sie nachts um halb drei mit sonnverbrannten Gesichtern auf blau-weißen Plastikdecken Souvlaki tanzen, bis die Ohren glühen. Bei der Landung wird geklatscht, leider nicht gegenseitig auf die Ohren, sondern jeder für sich in die Hände. Der Deutsche ist eben freundlich. Danke, Herr Kapitän, dass wir nicht notlanden mussten. Schön, dass wir noch leben. Warum klatscht keiner bei der guten alten Tante Bahn? „Meine sehr verehrten Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Berlin Zoologischer Garten.“ Tosender Beifall.

Aber das Schlimmste naht nach der Landung. Das Rollband hat sich gerade erst in Bewegung gesetzt, dicht an dicht gedrängt wird bereits hier schon mal der Ernstfall am Strand geprobt. Bestechungsgelder schnellen in die Höhe, Schreie gellen durchs Gebäude, halb Totgequetschte irren mit verstörtem Gesichtsausdruck umher, ihr zerfetztes Gepäckstück hinter sich herschleifend. Dann endlich, ein Glücksgefühl: Wie ein alter Bekannter scheint einen der einsame Rucksack inmitten dieses Irrsinns anzulächeln, man stürmt nach vorn. Während man mit seligem Gesichtsausdruck Richtung Ausgang marschiert, kassiert man neidvolle Blicke vom zurückbleibenden Terroristen-..., sorry, Touristenvolk. Wo waren noch gleich die Unterschiede?