Vom Standortfaktor zum Gestaltungsauftrag

■ Münchens Kulturdezernent Julian Nida-Rümelin fordert Neuorientierung in der Kulturpolitik

Mit einem Festvortrag von Julian Nida-Rümelin wird die Bremer SPD heute ihr Kulturforum aus der Taufe heben. Nida-Rümelin ist Philosoph mit zurzeit ruhender Professur in Göttingen und seit 1998 SPD-Kulturdezernent in München. In einem Gespräch mit der taz erläuterte er seine Ideen für eine neue kommunale Kulturpolitik.

taz: Sie haben die schlechte Kommunikation zwischen Künstlern und Politikern zum größten Problem der Kulturpolitik erklärt. Sie möchten das in Ihrer Amtszeit verbessern. Führen Sie nun den Verteilungskampf um den Kulturetat im Gegensatz zu Ihren Vorgängern mit formvollendeten Sätzen?

Julian Nida-Rümelin: Es ist die Frage, ob es in der Kulturpolitik tatsächlich in erster Linie um Verteilungsfragen geht. Die Kulturhaushalte stehen zweifellos unter Druck. Aber das beruht weniger auf ökonomischen Gesetzmäßigkeiten als vielmehr auf politischen Entscheidungen. Es war einer der großen Fehler der letzten Jahre, dass wir aufgrund der angespannten Haushaltslage die kommunale Kulturpolitik auf administrative Fragen wie etwa der nach der verbesserten Effizienz von Einrichtungen einerseits und solche nach der Standortrelevanz von Kulturangeboten andererseits eingeschränkt haben. Die entscheidende Frage der Kulturpolitik ist aber doch die, welche kulturellen Inhalte wir mit dem Etat eigentlich verantworten wollen. Im Gegensatz zu vielen Kollegen bin ich da der Meinung, dass damit ein inhaltlicher Gestaltungsauftrag für ein Gemeinwesen verbunden ist, den man nicht an sponsorende Unternehmen oder an eigenständige kulturelle Einrichtungen deligieren kann. In München machen wir deshalb eine antizyklische Kulturpolitik: Der Etat wurde erhöht, um diese Aufgaben kreativ bewältigen zu können. Und wir kooperieren enger mit den Kulturinstituten im Sinne einer kommunalen corporate identity. Und das geht nur, wenn man einen Dialog initiiert zwischen unterschiedlichen Milieus in einer Stadt, die zu einer solchen städtischen Identität etwas beitragen können.

Ein Dialog worüber?

Zum Beispiel darüber, welche Kunst besondere Förderung nötig hat. Im Zentrum der Kulturpolitik muss eine Wertorientierung zum Ausdruck kommen, die einen Gestaltungswillen erkennen lässt.

Sie plädieren also für eine kulturpolitische Neuorientierung?

Ich sehe drei Phasen der Kulturpolitik: Die 70er Jahre mit dem Ziel, die Partizipation der Bevölkerung am kulturellen Geschehen zu erhöhen. Diese Phase war sehr erfolgreich, allerdings mit der fatalen Folge, dass die Protagonisten dieser Politik sie rechtfertigten allein unter dem Aspekt der sozialen Zielsetzung. Die folgende zweite Phase begründete kulturpolitische Entscheidungen primär ökonomisch mit Standortargumenten. Diese Begründungsfiguren sind extern motiviert und führen in schlechte Abhängigkeiten von Argumenten, die mit originär kulturellen Überlegungen wenig gemein haben. Es wäre also nun der richtige Augenblick für eine dritte Phase, in der den Politikfeldern außerhalb der Kultur klar gemacht werden muss, dass Kulturpolitik der Gestaltung der Grundstrukturen dient, in denen sich das gesellschaftliche Leben generell abspielt. Das Kulturelle kann also nicht auf ein Ressort zurückgeführt werden, sondern das Kulturelle ist die allgemeinste Form, in der sich die Gesellschaft über sich selbst verständigt, Fragen klärt nach dem guten Leben, Empathie ermöglicht, Gefühle verfeinert. Kunst und kulturelle Praxis haben einen Eigenwert, der alle Ressorts des politischen Handelns mit tangiert.

Und das nehmen Ihnen die kulturfernen Ressortkollegen ab?

Durchaus. Wir diskutieren in München zurzeit öffentlich über die Frage nach einer kulturverträglichen Stadtentwicklung. Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit sind akzeptierte Stadtentwicklungsparameter, Kulturverträglichkeit noch nicht. Die Frage nach dem, was wir in der Stadt langfris-tig erreichen wollen, muss diesen zentralen Aspekt aber berücksichtigen, so dass etwa die Gefahr des ersatzlosen Verlustes kultureller Milieus, wie sie momentan in München der unterfinanzierten freien Szene drohen, in den Blick einer generellen Stadtentwicklungsperspektive geraten. In diesen Milieus entstehen Anstöße, die nicht nur für die kleine Gruppe der an freier Kulturarbeit Interessierten relevant ist, sondern auf die kulturelle Entwicklung insgesamt ausstrahlt. Die kulturelle Entwicklung eines Gemeinwesens ist ein hohes Gut, das sich wesentlich aus den Produktionen dieser avantgardistischen, anspruchsvollen Milieus speist. Wenn wir also kulturelle Entwicklung wollen, müssen wir auch ihre Grundlagen sichern, die der Markt an diesem Punkt nicht sichern kann. Fragen: Franco Zotta

Veranstaltung heute, Sa., 15 Uhr, Galerie Rabus (Plantage 13)