Sparen allein reicht nicht

Der kürzlich vom Berliner Senat veröffentlichte „Abwasserbeseitigungsplan“ stößt bei Umweltverbänden auf Kritik: Er werde der komplexen Aufgabenstellung nicht gerecht
von CHRISTOPH RASCH

Die Einladung zum Vortrag war dramatisch überhöht: Unter dem Titel „Die Abwasserkatastrophe“ lud die Grüne Liga Berlin vor wenigen Wochen zum Referat über Wasserqualität und ökologisches Gleichgewicht. Das nämlich drohe zu kippen, wenn, wie seit Jahren der Fall, mehr und mehr „technische Tenside“, heute Hauptbestandteil fast aller Wasch- und Reinigungsmittel, ins Abwasser gelangten – die Menge des genießbaren Trinkwassers schwindet.

So drastisch stellt sich die Lage in Berlin noch nicht dar, doch auch hier steht man vor „handfesten“ Problemen. Vor dem Problem der Algenentwicklung in den umliegenden Gewässern etwa, die durch die hohe Konzentration der Nährstoffe Phosphor und Stickstoff begünstigt wird. Die Blaualgen entwickeln Gifte, „die Funktionalität des Ökosystems Binnengewässer wird deutlich eingeschränkt“, heißt es in einem wissenschaftlichen Papier. Zwischenfälle wie bei erkrankten Hobbyseglern, die Havelwasser schluckten, oder vermehrtes Fischsterben machen dies immer wieder deutlich.

Der kürzlich veröffentlichte „Abwasserbeseitigungsplan“ des Berliner Senats entwickelt Szenarien, wie sich die Gewässerqualität in den nächsten fünfzehn Jahren verbessern lässt. Doch der Entwurf stieß bei den Umweltverbänden auf Kritik: „Der Abwasserbeseitigungsplan wird der Komplexität der Aufgabenstellung nicht gerecht“, urteilten die Verbände in einer an den Senat gerichteten Stellungnahme. „Ein schlüssiges Bild entsteht leider nicht“, das Thema sei nicht vollständig bearbeitet. Zudem fehlten wesentliche Verbindungen zu Themengebieten wie Boden-, Grundwasser- oder Klimaentwicklung.

Das Thema müsse im großen Zusammenhang angegangen werden. „Das Abwasser ist heute anders zusammengesetzt als noch vor zehn Jahren“, sagt Hans-Jürgen Schmidt von der Berliner Umweltbehörde, „und heute sind fast alle Bestandteile biologisch abbaubar.“ Die Menge der Tenside ist seit Jahren konstant: höchstens 11 Milligramm pro Kubikmeter Wasser gelangen in die Kläranlagen, und weniger als 0,4 Milligramm lassen diese im „Ablauf“ davon übrig. Die Einleitungen aus phosphorhaltigen Waschmitteln ist weniger geworden und die zunehmende Verwendung von modernen Waschmaschinen habe das Volumen des Haushalts-„Grauwassers“ deutlich sinken lassen, erklärt Schmidt.

Eine insgesamt positive Entwicklung, jedoch mit einem negativen Nebeneffekt. Denn die Menge der festen Bestandteile – etwa Fäkalien, Toilettenartikel oder Küchenabfälle – ist in geringerem Maß gesunken und macht nun einen höheren Anteil aus. Folge: Die Abwassermassen „verdicken“, werden träge und verstopfen die Kanalisation. Kommt es zu einem heftigen Regenguss, sind die Kläranlagen dem Abwasserschwall nicht gewachsen – die Brühe landet ungeklärt in den Gewässern.

Geht der Wasserverbrauch in den Haushalten noch weiter zurück, müssten die Kanäle irgendwann umgebaut werden – eine Aufgabe von Jahrzehnten, und, wissen die Fachleute, „angesichts riesiger Investitionen illusorisch“. Alternative: „Die Kanäle müssten aktiv mit Wasser gespült werden“, erklärt Weigert. Das aber verursacht indirekt wieder einen erhöhten Wasserverbrauch. „Hauptproblem der Berliner Region“, so Bodo Weigert von Wasserforschung e. V., „ist nicht die Wasserknappheit, sondern die Qualität der lokalen Gewässer.“ Auf Grund der Belastungen durch die brandenburgische Landwirtschaft kommen diese schon „stark belastet in Berlin an“, so Weigert: „Daran muss hart gearbeitet werden.“

Die hydrologische Qualität von Dahme, Müggelsee und Spree könne durch eine gezieltere Kreislaufführung der Berliner Abwassereinleitungen verbessert werden. Weigert: „Wassersparen allein verringert noch nicht die Schadstoffmengen.“

In den sechs Berliner Klärwerken fallen rund 240 Millionen Kubikmeter Abwasser im Jahr zur Reinigung an – und zunehmend landen Chemikalien in der Kanalisation. Auch die Phosphorbelastung „spielt in Berlin noch immer eine entscheidende Rolle“, sagt Michael Bender von der Grünen Liga. Die Umweltverbände fordern deshalb den Ausbau der Klärwerke um die so genannte vierte Reinigungsstufe. Dies, sagt Bender, könne die eingeleitete Phosphormenge um rund 100 auf nur noch 13 Tonnen reduzieren, und damit auch das Wachstum der Blaualgen. In der Kläranlage Ruhleben sei dies erfolgreich getestet und offiziell „den weiteren Planungen der Berliner Kläranlagen zu Grunde gelegt“ worden.

Doch die Entwicklung nach der Privatisierung der Wasserbetriebe sieht Bender mit einer gewissen Skepsis. Er fürchtet, dass mit einem „gewinnorientierten“ Personalabbau ein großer Teil „des Know-hows verloren geht, die Kanalisation verschlissen und die Überwachung von Trink- und Abwasser runtergefahren wird“.

Auch der Verbraucher ist gefordert. Doch Regulierungsmaßnahmen sind umstritten. Eine Studie des Karlsruher Fraunhofer-Instituts empfahl, die Abwassergebühren um das Dreifache zu erhöhen. Doch in Berlin ist das Gegenteil der Fall. Die Berliner Wasserbetriebe rechnen nach ihrer Teilprivatisierung im Oktober letzten Jahres in neuen Tarifmodellen. Seit Januar gilt ein Gebührensplitting, Schmutz- und Regenwasser werden separat entsorgt. Folge: eine Gebührenentlastung für rund 90 Prozent der Berliner Haushalte, die nun rund eine Mark weniger pro Kubikmeter Abwasser zahlen. In der Berliner Umweltbehörde hält man wenig davon, eine Abwassersparvorschrift per Gebühr durchzusetzen. „In kleinerem Rahmen eignen sich die Gebühren bedingt als erzieherische Maßnahme“, so Schmidt, etwa im gewerblichen Sektor, „aber auf breiter Basis ist das nicht realistisch.“

Die Institutionen suchen also weiter nach Lösungen. Und überschreiben ihre Positionspapiere auch weiterhin gerne mit drastischen Formulierungen: „Die Wasserkrise – ein Ausblick.“

Bisweilen sind auch die tatsächlich erfolgreichen Lösungen kurios. „In stark versauerten Tagebauseen“, berichtet Michael Bender, „ließ sich etwa die Biologie wieder ankurbeln – durch die Einleitung von phosphathaltigem Wasser.“

Mehr zum Thema zeigt eine Ausstellung des Vereins Wasserforschung vom 1. 6. bis 31. 10. in der Rummelsburger Bucht. Alt Stralau 63–67, Werkstattgebäude der ehemaligen Glashütte Stralau, S-Bahn Ostkreuz und Treptower Park.

Hinweis:Das Abwasser ist heute anders zusammengesetzt als noch vor zehn Jahren und heute sind fast alle Bestandteile biologisch abbaubar