berliner szenen
: Die Rangeleien um die besten Nistplätze haben begonnen

ALLE VÖGEL SIND WIEDER DA

Zum ersten Mal seit sechs Jahren blieb der Nistkasten an meinem Fenster in der Waldemarstraße leer, keine Meise nahm das Nistangebot an. Immerhin wurden die dunkelgrünen Blätter des Liebstöckels, des so genannten Maggikrauts, am Fenster ständig abgezupft. Von einem Star, der mit der würzigen Beute auf die Kastanie in den Hinterhof flog und dort flügelzitternd seinen quirligen Balzgesang vortrug. An den Rosmarin und die Salbei ging er sonderbarerweise ebenso wenig ran wie an den Sauerampfer.

Mein Freund Matthias hatte mehr Glück: In seine neu installierte Nisthöhle in der Oranienstraße quartierte sich ein agiles Blaumeisenpärchen ein. Meine Meisen? Möglicherweise hatte sich nämlich die Überschneidung eines Kreuzberger Meisenreviers ergeben, bei der ich den Kürzeren zog. Denn wir wohnen nur ein paar Flügelschläge entfernt voneinander. Dafür war Matthias’ Fensterbrett vollkommen verschmutzt, weil ein emsiges Amselmännchen unentwegt Torfboden aus dem Blumenkasten abtrug, um daraus irgendwo ein Nest zu bauen. Der schwarze Amselmann war so vertieft in seine Tätigkeit, dass irgendwann ein richtiger Krater entstand und sogar der grüne Plastikboden des Blumenkastens zu sehen war.

Meine Yogalehrerin Katrin hat sich auch einen Vogelkasten hingehängt und lockte damit erfolgreich ein Grünfinkenpaar an, eine echte Überraschung. Die singen nämlich besonders beeindruckend auf Fernsehantennen und Baumspitzen und wurden früher in Jugoslawien gern als Stubenvögel gehalten. Um den Nistkasten von Bernhard und Erika in der Moabiter Waldstraße, wo letztes Jahr noch Blaumeisen brüteten, gab es dieses Jahr eine totale Rangelei. Ein Hausspatzenpaar warf das von den kleineren Meisen herbeigeschleppte Polstermaterial kurzerhand aus dem Kasten. Die Spatzen scheinen gesiegt zu haben und füttern bereits ihren Nachwuchs, informierte mich Erika kürzlich.

Irgendwie kommen die Vögel immer näher zu den Menschen in die Stadt. Nicht nur Störche, Tauben und Spatzen, die ja ziemlich früh damit angefangen haben, vor einigen hundert Jahren. Vor dreißig Jahren gab es in der Bundesrepublik wegen der Dünnwandigkeit ihrer DDT-belasteten Eier noch ganze 80 Wanderfalkenpaare. Mittlerweile hat sich ihre Zahl beträchtlich erhöht.

So fliegt täglich ein Wanderfalke an meinem Fenster vorbei über die Waldemarstraße von seinem Brutplatz am Roten Rathaus zum Kottbusser Tor, um dort Beute zu suchen. Vor einer Woche sah ich ihn dort herabstürzen, eine Taube in seinen Krallen, niemand schien den Angriff zu bemerken. Eigentlich hätte ich die Passanten auf das ungewöhnliche Schauspiel aufmerksam machen wollen, sie am Ärmel rütteln. „Schaut nur, der war vor dreißig Jahren fast ausgestorben!“ So etwas sieht man doch nicht alle Tage. Aber die Menschen auf dem Platz vor der Sparkasse waren mit anderen Dingen beschäftigt.

Immerhin hat Matthias vor drei Jahren einen Wanderfalken gegenüber seiner alten Wohnung in der Dachrinne beim Vertilgen einer Taube fotografiert, die in seinen blutigen Fängen ruhte. Er rief beim Vogelschutzbund an und erfuhr, dass dieser Vogel irgendwo in der Crellestraße wohnt, die genaue Hausnummer verraten die gut informierten Naturschützer aber nicht. Wanderfalkeneier sind nämlich sehr gefragt, natürlich nicht für die Pfanne, sondern zur Zucht der begehrten Beizvögel. WOLFGANG MÜLLER