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: Bundesliga-Saisonende im Zeichen des Sittenverfalls

WÜRGER, TRETER UND BRÜLLER

Zur Genüge wurde auch in dieser Zeitung über das Pay-TV und seinen Angriff auf das Menschenrecht Sportschau gucken gewettert – Zeit, mal etwas Positives zu sagen: Pay-TV erweitert den Horizont. Die Möglichkeit, vollständige Spiele der anderen großen europäischen Ligen zu betrachten, bringt nämlich erstaunliche Erkenntnisse. Dabei geht es weniger um die Beobachtung, dass fast überall sonst mit Raumdeckung und erheblich offensiver als in der Bundesliga gespielt wird, sondern vielmehr um die hiesige Verrohung der Sitten, die im Vergleich mit Europas Rest umso plastischer zutage tritt.

Gemeint sind dabei nicht Vereinsfunktionäre wie jene von Eintracht Frankfurt, die Bestimmungen umgehen, an die sich andere halten, und wenn sie erwischt und bestraft werden – unanständig milde, nebenbei gesagt –, zetern sie, als sei ihnen das größte Unrecht seit der Verurteilung Galileis widerfahren. Ebenso wenig geht es um Würgetrainer wie den Aachener Eugen Hach, der einen skandalösen Ausraster wie den brachialen Angriff auf die Gurgel eines Cottbuser Spielers ohne jedes Schuldbewusstsein so lange leugnet, bis ihm aufgeht, dass die Verstocktheit möglicherweise strafverschärfend wirkt. Erst dann legt er opportunistisch ein halbherziges „Geständnis“ ab („vielleicht habe ich ihn am Arm berührt“) und wird prompt mit Halbierung der Sperre belohnt.

All das ist zwar ebenso symptomatisch für den moralischen Zustand des deutschen Fußballs wie die Weltverschwörungstheorien eines Berti Vogts, besonders auffällig sind jedoch die Umgangsformen der Spieler untereinander. Herthas Trainer Jürgen Röber, ein eifriger Betrachter fremdländischen Fußballs, rügte einmal seinen Spieler Hendrik Herzog, weil dieser einem Kontrahenten in einem Europacupspiel den Handschlag verweigerte. Den Einwand, solche Giftigkeit sei doch überall gang und gäbe, wies er zurück. In der Tat, nirgends sonst liegt die Fairness so im Argen wie in deutschen Stadien.

Das beginnt mit extensiver Mittelfeldtreterei vor allem zu Beginn eines jeden Spiels, um den Schiedsrichter zu testen und den Gegenspieler einzuschüchtern. Leute wie Leverkusens Ze Roberto wissen nur zu gut, dass es in der Bundesliga unmöglich ist, drei Leute am Mittelkreis aussteigen zu lassen, ohne grob gefoult zu werden. In Italien ist das deutlich anders. Natürlich gibt es auch da hässliche Fouls und Aggressivität, aber viel seltener. Beim Spitzenspiel AC Parma gegen Lazio Rom zum Beispiel dauerte es geschlagene 20 Minuten, bis der erste Freistoß gepfiffen wurde. Beim 0:0 im Pokalfinale am Donnerstag zwischen Lazio und Inter, das Meister Rom aufgrund des 2:1 im Hinspiel zum Pokalgewinn reichte, begingen beide Teams je 16 Fouls, eine durchaus bescheidene Quote in einem derart wichtigen Spiel. Der Grund für die Zurückhaltung liegt zum Teil darin, dass der durchschnittliche Kicker in der Serie A ein erheblich besserer Fußballer ist als sein Bundesliga-Kollege, zum Teil bei den rigoroseren Schiedsrichtern, zum Teil aber auch am größeren Respekt für den Profikollegen im anderen Trikot.

In England oder Italien ist ein Foul noch ein Foul. Der Getroffene steht wieder auf, wenn es ihn nicht wirklich böse erwischt hat, der Übeltäter hebt den Arm, nimmt seine gelbe Karte in Empfang, und oft gibt es noch ein versöhnlichen Klaps. Das selbe Szenario in Deutschland besteht aus einem Spieler, der sich am Boden wälzt, als hätten ihn mehrere Blitze gleichzeitig getroffen, und einem Unschuldslamm, das gestenreich andeutet, den Ball gespielt zu haben, auch wenn der zehn Meter weg war, oder das Opfer dreist der Täuschung bezichtigt.

Die Schiedsrichter stehen diesem Treiben, das es oft zu einer harten Prüfung macht, sich ein foulzerhacktes Bundesligaspiel im Stadion anzuschauen, taten- bis hilflos gegenüber. Sie haben von Trainern, Spielern und Reportern so lange gehört, sie müssten Fingerspitzengefühl zeigen, dass sie dies inzwischen mit Rückgratlosigkeit verwechseln. Vor allem, wenn Bayern oder Dortmund spielen, steht fast nach jedem Pfiff eine Traube von Spielern um den Referee oder einen seiner Assistenten herum, die brüllen oder sogar handgreiflich werden. Wen wundert es da noch, wenn Dortmunds Führungsspitze die Misere des Klubs statt auf ihre verkorkste Vereinspolitik kurzerhand auf ein Schiedsrichterkomplott zurückführt.

In Italien oder England lassen sich die Schiedsrichter eine derartige Behandlung schlicht nicht gefallen, eher schon in Spanien, wo die Unparteiischen seit langem einen miserablen Ruf genießen. Nicht umsonst schrieb die spanische Presse nach erstaunter Betrachtung des ruppigen Pokalfinales zwischen Bayern und Werder, der Referee sei so schlecht gewesen, er hätte glatt ein Spanier sein können. Typisch, dass Schiedsrichter Berg in den deutschen Gazetten ganz gut wegkam. Ebenso typisch, dass der Verein Alemannia Aachen die 15.000 Mark Geldstrafe für Würger Hach bezahlt. Auf ein Neues in der nächsten Saison, kann man da nur sagen. MATTI LIESKE