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press-schlagRadiophoner Stadiongang o h n e Milena

STERNSTUNDE DES RUNDFUNKS IM WALDRADION

Am letzten Spieltag der Saison verwandelt sich das Stadion ins Radion. Jeder zweite Besucher ist zugleich akustischer Gast in acht anderen Arenen. So auch am Samstag im ausverkauften Frankfurter Waldstadion beim Spiel der Frankfurter Eintracht gegen den SSV Ulm (siehe Bericht auf Seite 17).

Da wir Plätze neben dem Block mit den Geisteskranken erwischt hatten, die bei unliebsamen Schiedsrichterpfiffen „Jude, Jude!“ schreien und zwischendurch mit Feuerwerkskörpern Enschede nachzuspielen versuchen, musste Milena (2) diesmal daheim bleiben. Es wäre ihr auch zu laut gewesen – man hatte Mühe, den drei Radiobatterien genug Lautstärkeleistung zu entlocken, um überhaupt etwas aus dem Äther aufzuschnappen.

Aber was man da hörte, war wieder mal tierisch spannend. Angesichts der Reminiszenzen an den legendären Abstiegskrimi der vergangenen Saison – Günter Kochs „Ich will das nicht mehr sehen!“ – hatte man befürchten müssen, dass die Reporter ununterbrochen versuchen würden, eine nicht vorhandene Spannung herbeizureden. Aber es gab sie. Und es war eine interessante Erfahrung in Schizophrenie: Nachdem klar war, dass Rostock sich retten würde, kämpften unten auf dem Platz die Eintracht und Ulm in einer hoch spannenden zweiten Halbzeit buchstäblich um die Existenz, und gleichzeitig fieberten die, die ein Ohr dafür frei hatten – die meisten Anwesenden hatten allerdings nur noch Augen für die taumelnde Eintracht und allenfalls ein Kopfschütteln für die Leverkusener übrig –, mit den Momentaufnahmen des Kampfs um die Europacup-Plätze.

Zwischendurch fragte man sich, wie denn die Akteure unten auf dem Rasen sich überhaupt konzentrieren konnten, wo doch gerade Kaiserslautern in Führung gegangen war und damit Hertha die Tür zur Champions League geöffnet hatte, welche die Berliner allerdings mit dem eigenen Hintern wieder zuschlugen. Kehrte man zwischen den Einblendungen aus Stuttgart („Liebe Radieschenzupfer und Autoputzer am Radio, ich erkläre Ihnen nochmal die Konstellation ...“), Berlin (zwischendurch bei Punkt- und Torgleichheit mit Stuttgart wegen der weniger geschossenen Tore auf Platz 7), Kaiserslautern und Wolfsburg (auch noch mal kurz mit im Spiel um einen Uefa-Cup-Platz) wieder mit den Augen auf den Frankfurter Rasen zurück, kamen einem die Spielszenen dort ebenfalls wie fetzenhafte Einblendungen und Ausschnitte vor. Schizophren eben. Aber – da traf die übereinstimmende Reporter-Phrase einmal zu – eine Sternstunde des Radios.

Live aus Block 30:

OLIVER THOMAS DOMZALSKI

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