Ökonomie des Hungers, Geschäft mit der Not

Die internationale Nahrungsmittelhilfe kam Äthiopien bislang gut zupass, um den Krieg gegen Eritrea zu finanzieren. Das Land konnte sein Entwicklungsbudget nach Belieben zusammenstreichen und die Wirtschaft auf den Krieg einstellen

NAIROBI taz ■ Zusammen mit internationalen Organisationen wie etwa dem UNO-Welternährungsprogramm (WEP) führte die äthiopische Kommission zur Verhütung von Katastrophen (DPPC) im November 1999 eine Untersuchung in allen Regionen des Landes durch. Für die Region Afar im Nordosten kamen sie gemeinsam zum Ergebnis, dass im Jahre 2000 dort voraussichtlich 12.700 Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein würden. Die Untersuchung dient als Grundlage für die jährliche Anfrage Äthiopiens an die internationale Gemeinschaft um Nothilfe. In der Anfrage vom Januar 2000 waren es dann in der Afar-Region auf einmal 272.000 Bedürftige geworden – fast jeder vierte Afari. Die Begründung der Regierung Äthiopiens an die Hilfsorganisationen: „Das müsst ihr verstehen: Die Region ist so schon unsicher, und dann haben wir auch Wahlen in diesem Jahr.“ Um den explosionsartigen Anstieg der „Bedürftigen“ zu verstehen, muss man wohl auch wissen, dass in dieser Grenzregion ein beträchtlicher Teil der äthiopischen Armee steht.

Das System der internationalen Hungerhilfe hat es Äthiopien erleichtert, den kleinen Nachbarn Eritrea totzurüsten und es mit den gekauften Waffen niederzuringen. Denn die jährlich zu erwartende Nothilfe half dem Land bislang dabei, seiner permanenten Nahrungsmittelknappheit zu begegnen. Äthiopien konnte so sein Entwicklungsbudget nach Belieben zusammenstreichen und die Wirtschaft vollständig auf den Krieg einstellen.

Nach der Hungersnot 1984/85, bei der mehr als 500.000 Menschen umkamen, schufen Äthiopien und die internationale Gemeinschaft nach und nach ein System, um künftige Katastrophen zu verhindern. Dieses System schloss eine „strategische Nahrungsmittelreserve“ von 300.000 Tonnen für rund drei Monate und ein „Frühwarnsystem“ ein.

In der Praxis war es so, dass Äthiopien zusammen mit den internationalen Organisationen am Anfang des Jahres den zusätzlichen Nahrungsmittelbedarf abschätzte und ihn dann von den Gebern erwarten konnte. Trotz der von der Regierung in Addis Abeba gern angeführten „Rekordernte 1997“ bekam Äthiopien im letzten Jahrzehnt in jedem Jahr Nothilfe, im Schnitt 700.000 Tonnen – also nicht viel weniger als in diesem Jahr der „Jahrhundertdürre 2000“. Landeskenner sagen deshalb, dass Äthiopien den armen Teil seiner Bevölkerung unter die Obhut der internationalen Gemeinschaft gestellt hat.

Die Nothilfe war für die Regierung äußerst lukrativ. Außerdem war sie noch eine gute Einnahmequelle für Devisen und stützte die äthiopische Landeswährung, den Birr. Denn ein Teil der Nahrungsmittel wurden von den Gebern auf dem lokalen Markt eingekauft – in Birr, die sie zuvor bei der Zentralbank für Devisen eingekauft hatten.

Außerdem bekam Äthiopien für jede Tonne gelieferte Nahrungsmittelhilfe noch 120 US-Dollar zusätzlich, um die Kosten für deren Transport und Verteilung zu decken. Auch dieses Geld musste natürlich in die Landeswährung Birr eingetauscht werden. Die jährliche Nahrungsmittelhilfe hatte also eine für Äthiopien so günstige Form, dass sie schon fast eine verdeckte Budgethilfe genannt werden kann. Aber das Schönste war, dass sie auch die Versorgung mit Devisen sicherte, denn Panzer und Raketenwerfer lassen sich nun mal nicht in Birr bezahlen.

Aber es kommt noch besser. Auch für die äthiopische Parteigrößen selbst war es ein gutes Geschäft. So wurde und wird die Nahrungsmittelhilfe in den Norden des Landes ausschließlich von der Tesco transportiert. Die Tesco ist Mitglied des „Effort“-Konsortiums, einem Wirtschaftskonglomerat der ehemaligen Rebellenbewegung TPLF, heute ein entscheidender Bestandteil der äthiopischen Regierungspartei. Die zu Tesco zählenden Betriebe werden in der Regel von Parteigrößen geführt. PETER BÖHM