Die Ästhetik des Tötens

■ Der chilenische Autor Roberto Bolaño liest im Instituto Cervantes

Im vergangenen Jahr erschien ein merkwürdiges Buch in deutscher Übersetzung. Es war schlecht geschrieben, die darin versammelten kurzen Texte holperten an allen Ecken und Enden. Und trotzdem war es ein gutes Buch.

Denn der Name auf dem Buchcover ist nicht identisch mit dem, der die Texte schrieb. Oder genauer: Der gute Mann namens Roberto Bolaño, geboren 1953 in Santiago de Chile, hat nicht so geschrieben, wie er, Bolaño, einen guten Text schreiben würde. Womit Perspektiven und Erzählebenen gründlich durcheinander geraten wären.

Besagtes Buch heißt „Die Naziliteratur in Amerika“ und kommt daher als eine Art Einführung in die südamerikanische Literatur. Dabei muss der Autor erkennen, dass ihn immer wieder eine gewisse Bewunderung für die Naziliteraten überkommt.

Nun sind die im Buch beschriebenen bizarren Gestalten erfunden. Aber (und das ist der Clou) sie hätten leben können. Der putzigste dieser Nazidichter ist der „Aeropoet“ Ramirez Hoffmann. Er schreibt mit dem Flugzeug Verse an den Himmel und sich mitten in die Gunst der Putschisten-Regierung nach dem Sturz Allendes in Chile 1973. Hoffmann kehrt im Bolaños neuem Buch „Stern in der Ferne“ wieder. Diesmal aber auf Romanlänge.

Anstelle des krampfhaft um „Objektivität“ bemühten Chefanthologen in „Naziliteratur“, erzählt in „Stern in der Ferne“ ein Nachwuchsdichter um die Zwanzig. Er sieht diesen Carlos Wieder (wie Hoffmann hier heißt) einige Male. Der Nachwuchsdichter ist eifersüchtig, weil der elegante Noch-nicht-Aeropoet ihm in der universitären Literaturwerkstatt auch noch die letzte Frau entreißt. Während der kurzzeitigen Internierung nach dem Putsch sieht er die ersten Flugshows dieses Wieder und begibt sich auf die Suche nach dem bald verschwundenen Kauz.

Fast wäre ein Politthriller daraus geworden, würde Bolaño nicht immer wieder das Tempo drosseln, gäbe es nicht geschickt gebaute Passagen über Ästhetik und Faschismus und wäre sein Thema nicht ein anderes als spannungsgeladene Action. „Stern in der Ferne“ ist ein leises, hochpolitisches Buch. Aus der „Naziliteratur“ übernimmt der Autor die Wahrhaftigkeit des Gefälschten, erzählt aber ganz anders. Und er stellt simple, aber keineswegs bedeutungslose Fragen.

Auch damit bleibt er näher bei sich selbst. Bolaño kehrte vor kurzem für einen Besuch nach Chile zurück. In einer Folterkammer entdeckt er auf einer Gedenktafel den Namen eines Bekannten. Mögen Details in den Romanen erfunden sein. Erschreckend wahrhaftig sind sie dennoch. Tim Schomacker

Lesung am 25. Mai, 20h, Instituto Cervantes, Schwachh. Ring 124