EIN TRIBUNAL SOLL ÜBER DEN NATO-LUFTKRIEG GEGEN JUGOSLAWIEN RICHTEN
: Propagandabrei

Der Luftkrieg der Nato im Kosovo wird auch und gerade von vielen „UNO-Internationalisten“ als völkerrechtswidrig und politisch katastrophal verurteilt. Mit einigem Recht, denn einer neuen, auf den Menschenrechten basierenden Völkerrechtsordnung wurde durch die Luftangriffe der Nato schwerer Schaden zugefügt. Und an die Stelle des nur durch den Fall der Selbstverteidigung eingeschränkten Gewaltmonopols der UNO trat wieder der Naturzustand des Waffengebrauchs kraft Machtkalküls.

Die Idee, internationale Tribunale über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien durchzuführen, ist ungefähr der schlechteste Dienst, der der notwendigen Debatte über die Befestigung des humanitären Völkerrechts erwiesen werden kann. Die Tribunal-Konzeption entlehnt dem Recht einige Fassadenelemente, die der Veranstaltung justizförmigen Charakter geben sollen. Damit wird Strenge und Verbindlichkeit intendiert. Aber schon das Studium der in der Anklageschrift präsentierten Fakten zur Vorgeschichte des Kosovo-Krieges erweist, dass statt eines Berichts über Sachverhalte ein Propagandabrei zusammengerührt wird.

Nur eine Kostprobe: „Die deutsche Außenpolitik war spätestens ab 1991 auf die Zerschlagung der nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus gegründeten jugoslawischen Föderation gerichtet, wobei die in deren Innern entstandenen schwer wiegenden nationalen Konflikte genutzt und geschürt wurden.“ Demagogischer Appell an den Antifaschismus plus pseudosachliche Nennung der Konflikte unter Aussparung der Konfliktursachen plus unbelegte Behauptungen zur deutschen Politik.

Historisch hatten internationale Tribunale den Sinn, angesichts einer Repression, die Gerichtsverfahren zur Farce machten, unterdrückte Fakten zu präsentieren und rechtsstaatlich begründete Urteile zu fällen. So in den beiden Parallelprozessen, die in den Dreißigerjahren zum Reichstagsbrandprozess und später zu den Moskauer Prozessen stattfanden. Schon die Russell-Tribunale waren mehr politische Veranstaltungen als Unternehmungen zur Verteidigung schutzlos Verfolgter, aber sie hatten wenigstens das Verdienst, unterdrückte Fakten zum Krieg in Vietnam bzw. zur politischen Verfolgung in der Bundesrepublik zu veröffentlichen. Davon kann bei der vorliegenden Anklageschrift keine Rede sein. Wenn wenigstens eine hochkarätige Verteidigung vorgesehen wäre, sodass das Publikum sich ein Urteil bilden könnte. Aber an diese Art von Aufklärung ist offensichtlich nicht gedacht. Dafür rollt gleich eine ganze „Tribunalbewegung“ in einer Vielzahl von Städten an, darunter auch in Minsk, Weißrussland. Herr Lukaschenko wird ein aufmerksamer Gastgeber sein. CHRISTIAN SEMLER