Séguins Auftritt

Frankreichs Rechte kürt einen Chirac-Rivalen und EU-Skeptiker zum Pariser Bürgermeisterkandidaten

PARIS taz ■ Die Reihen der neogaullistischen BewerberInnen für das Rathaus von Paris hatten sich bereits in den Vortagen gelichtet. Als Parteichefin Michèle Alliot-Marie gestern Mittag erwartungsgemäß den Namen des offiziellen Kandidaten der RPR bekannt gab, war das für niemanden mehr eine Überraschung. Philippe Séguin (57) soll die Rechten im kommenden Frühjahr in die Komunalwahlen führen.

Der bullige Politiker, der für seine Wutausbrüche ebenso berüchtigt wie beliebt ist, gehört zu den Stehaufmännern der Neogaullisten. Noch im vergangenen Jahr, als er mitten im Europawahlkampf den Spitzenplatz der RPR unter Protest verließ, setzten in Frankreich nur wenige auf ihn, und Séguin verschwand von der französischen Politbühne. Während einer Gastprofessur in Québec speckte Séguin viele Kilos ab und bereitete mit gelegentlichen Medienauftritten das Terrain für Paris vor. „Ich bin bereit“ lautete sein wenig präziser Slogan.

Während sich der frühere Bürgermeister der ostfranzösischen Provinzstadt Epinal von Kanada aus an Paris heranpirschte, tobte in der französischen Hauptstadt ein offener Machtkampf. An vorderster Front kämpfte der wegen mehrerer Affären und mangelnden Charismas in Ungnade gefallene gegenwärtige Bürgermeister und Neogaullist Jean Tiberi (65) um sein Amt. Tiberi will sich auch jetzt nicht dem Votum von Parteichefin „MAM“ beugen. Obwohl mehrere seiner Getreuen Fahnenflucht begangen haben und zu Séguin überwechselten, wiederholte Tiberi gestern, er erhalte seine Kandidatur aufrecht. Einer Parteidisziplin will er sich nicht beugen.

Später kamen zwei weitere neogaullistische Schwergewichte ins Rennen um das schönste Büro Frankreichs: Ex-Premierminister Edouard Balladur (73) und die Pariserin Françoise de Panafieu (51). Beide KandidatInnen warfen in den vergangenen Tagen das Handtuch und kritisierten das abgekartete Spiel bei der Kandidatenkür.

Der in Tunesien geborene Séguin hat in seiner wechselvollen Karriere unter anderem 1992 Kampagne für das „Nein“ zu den Maastrichter Verträgen gemacht, 1995 mit streikenden Eisenbahnern am Lagerfeuer gesessen und sich zahlreiche öffentliche Auseinandersetzungen mit dem RPR-Gründer und jetzigen Staatschef Jacques Chirac geliefert. Chirac verhinderte lange Séguins Beförderung zum offiziellen Bürgermeisterkandidaten. Erst seit Séguin kürzlich im Elysée-Palast eingeladen war, stand seine Kür fest. Einen geraden Weg bis in das Rathaus von Paris, dessen BewohnerInnen bisher stets mehrheitlich konservativ wählten, hat Séguin trotzdem nicht vor sich. Er wird es mit verschiedenen konservativen Gegenkandidaten zu tun haben, ihm droht die Rache der verletzten Eitelkeiten aus den eigenen Reihen, und ihm steht in Betrand Delanoe ein einziger sozialistischer Herausforderer gegenüber, ein alteingesessener Pariser mit einer breiten und seit vielen Monaten beackerten Basis.

DOROTHEA HAHN