Ein Liebhaber des Chaos

■ Der ungarische Künstler Attila Csörgö war in Mathematik immer schon eine Niete. In der Galerie für Gegenwartskunst von Barbara Classen-Schmal ist jetzt zu sehen, wie weit ihn gerade dieses Talent gebracht hat

Eigentlich war Attila Csörgö Attila in Mathematik eine Niete. Da er aber ohnehin Künstler werden wollte, störte ihn das nie. Oder braucht man in der Kunst etwa mathematische Kenntnisse? Ja, sagte ihm da ein Lehrbeauftragter für Schmalfilmkunst an der Amsterdamer Rijksakademie. Zumindest für die Arbeit mit bewegten Gegenständen sei mathematisches Wissen durchaus erforderlich. Und Attila wollte mit bewegten Gegenständen arbeiten.

Wer seine bis Ende Juni in der Galerie Barbara Claassen-Schmal ausgestellten Werke betrachtet, wird daher ein mathematisches Genie hinter dem Ungarn vermuten. Sein Mathematiklehrer hätte wohl seine wahre Freude an den zwei runden, geschwärzten Glasscheiben, die so an die Wand gehängt wurden, dass sie sich um einige Zentimeter überschneiden. Ein paar scheinbar wild eingeritzte Linien scheinen zunächst kaum durchdacht zu sein. Doch die Kratzer haben es in sich: Werden die Scheiben durch einen Motor in Drehung versetzt, erkennt der Betrachter in der Schnittstelle unvermutet ein Unendlichkeitszeichen. Schaltet man den Motor wieder aus, ist der Spuk vorbei. Und dass diese wenigen unförmigen Kratzer sich eben noch zum Zeichen der Unendlichkeit perfekt zusammengefügt haben sollen, erscheint nun völlig unmöglich.

Die platonische Liebe ist zweifellos ein oft verarbeitetes Motiv in der Kunst. Doch denkt man auch hierbei wohl kaum an mathematische oder physikalische Zusammenhänge. Csörgös „Platonic Love“ jedoch könnte der Vitrine eines Unterrichtsraums für Physik entstammen. Unter einem simplen Handwerkstisch ist ein Motor angebracht, der unzählige Fäden bewegt, welche zu den auf der Tischplatte angebrachten Holzpfählen gespannt sind. Wie das konstruierte Gebilde aus Motor, Fäden, Gewichten und Pfählen wirklich funktioniert, ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Fest steht aber, dass es funktioniert: Auf der Tischfläche tanzen, wie von Zauberhand geführt, zwölf Holzstäbchen. Eben bildeten sie noch zwei nebeneinander stehende Tetraeder. Jetzt haben sie sich schon voneinander gelöst und hängen wild in der Luft herum. Und gleich werden sie sich wieder zu einem Oktaeder zusammenfügen. Ganz nach Platons Lehre der regelmäßigen Körper: Ein Tetra-eder plus ein Tetraeder ergibt ein Oktaeder.

Was Csörgö an dem Prozess interessiert, sind nicht die Körper selbst, sondern vielmehr die zwischen den Zusammenfügungen liegenden Stadien. Bis zum letzten Moment lässt sich nicht erahnen, welchen Körper die Stäbchen bilden werden. Von der Auflösung bis zur Zusammensetzung liegt somit eine Phase des absoluten Chaos. Doch warum setzt sich der Künstler nicht einfach an einen Computer mit gutem Grafikprogramm und spielt dem Betrachter eine Animation vor? Nun, solchen Computerbildern traut der Mensch heute nicht mehr. Gerade die Wirklichkeit des Chaos soll hier demonstriert werden, nicht eine optische Täuschung oder sonstige Zaubertricks.

Attila Csörgös Werke sind mehr als nur Spielereien mit mathematischen Formeln. Mit einfachen Mitteln, aber großem Arbeitsaufwand stößt er den Betrachter in beeindruckender Weise auf Fragen nach Gesetzmäßigkeiten in der Natur – und nicht zuletzt auf die Grenzen seiner Wahrnehmungskraft.

Johannes Bruggaier

Die Ausstellung ist bis zum 30. Juni dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr, donnerstags von 14 bis 20 Uhr und samstags von 12 bis 14 Uhr geöffnet. Infos unter Tel.: 70 21 39.