plazenta auf der zunge
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von KATHRIN PASSIG

Drei gute Vorsätze hatte ich für diese Kolumne gefasst: keine Frauenthemen; niemals Karstadt Hermannplatz erwähnen; keine eitlen Erörterungen, was man sich beim Schreiben gedacht hat. Aber gute Vorsätze, dachte ich beim Schreiben, müssen nicht unbedingt länger als bis zum Mai halten:

Haushälterische Mütter lassen sich nach der Geburt gern die Plazenta zum Mitnehmen einpacken – es soll ja nichts verkommen. Hierzulande wird der wabbelige Klumpen meist im Vorgarten verscharrt und ein Bäumchen darauf gepflanzt, aber da Bäumchen heikel sind und Fleischbeifütterung selten zu schätzen wissen, ist das Verschwendung. In den USA, wo ein Großteil der Bevölkerung von hungrigen irischen Auswanderern abstammt, denkt man pragmatischer und die Mutter-und-Kind-Magazine veröffentlichen schmackhafte Plazentarezepte: Mit einem scharfen Messer trennt die junge Mutter das Fleisch von den Häuten, gibt die Häute der Katze und verarbeitet die Plazenta zu Plazenta-Cocktail, Plazenta-Lasagne, Plazenta-Eintopf oder Plazenta-Pizza. Im Geschmack soll Plazenta an zartes Kalbfleisch erinnern, und wer sie verzehrt, ist vor postpartalen Depressionen gefeit.

Da der menschliche Körper außer Popel nicht viel Essbares produziert, ist das schon irgendwie beeindruckend und dürfte Splatter-Freundinnen wie Bioladenkundinnen gleichermaßen überzeugen. Und weil kein Tier fürs Abendessen sterben musste, können selbst Vegetarier ohne schlechtes Gewissen zugreifen. Die kommerzielle Verwertung dieser vielseitigen Delikatesse lässt noch auf sich warten; selbst in gut sortierten Lebensmittelabteilungen wie bei Karstadt Hermannplatz finden sich weder frische Plazenten aus ökologischer Frauenhaltung noch die zugehörige Kampagne „Schnitzel ist Mord – Plazenta ist Leben“. Bislang bleibt der kleine kannibalistische Kitzel also Selbstanbauerinnen vorbehalten; selbst Lebenspartner und beste Freundinnen bekommen nur selten ein Stück vom Mutterkuchen ab.

Nach dem gleichen homöopathischen Prinzip kann allerdings der Verzehr eigener Tumore Rezidiven vorbeugen und befriedigt nebenbei sogar atavistische Auge-um-Auge-Rachegelüste: „Du wolltest mich auffressen, Leberkrebs, und jetzt fress ich dich – knusprig gegrillt mit Rucola auf Roggenbrot.“ Dabei gibt es erhebliche geschmackliche Unterschiede: Während sich das Chondrosarkom durch seinen hohen Knorpelanteil bestenfalls für die Suppe eignet, zergeht ein saftiges Astrozytom auf der Zunge, und auch Nierentumore können dem Nierchen-Liebhaber mit ihren oftmals beachtlichen Ausmaßen viel Freude bereiten. Bei englisch angebratenen Neoplasmen besteht allerdings theoretisch ein gewisses Risiko der Wiederansiedlung im Darm. Es empfiehlt sich daher, bei der Zubereitung darauf zu achten, dass die Geschwulst wirklich gut durch ist. Dann aber ist der Genuss ein ungetrübter; schließlich weiß man, wo’s herkommt. „Wie wohl ist mir’s“, schreibt schon der junge Werther, „dass mein Herz die simple, harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Karzinom auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen.“ Mahlzeit.