Nicht Frankenstein ist pervers

Die exzentrischen Wurzeln der Unterhaltungskultur liegen in den Fünfzigern: Bill Condons biografischer Film „Gods and Monsters“ porträtiert den Frankenstein-Regisseur James Whale als Feingeist, der sich in seinen Gärtner verguckt

von ULF ERDMANN ZIEGLER

Dass der Erfinder des Monsters namens Frankenstein kein Monster war, das hatte man sich schon gedacht. „Gods and Monsters“ porträtiert den Regisseur Jame Whale in den letzten Wochen seines Lebens und versucht en passant anzudeuten, warum es sein könnte, dass dieser Mann eines Morgens tot in seinem Swimmingpool gefunden wurde, ohne Opfer eines Verbrechens geworden zu sein. Der autobiografische Film folgt dabei dem zentralen Motiv aus „Tod in Venedig“: Alter Künstler verliebt sich in einen Burschen, den er niemals wird haben können, und stirbt dann (oder daran).

Wir befinden uns wohl in Kalifornien, in den Fünfzigerjahren. Ein junger Mann, der im Elvis-Ähnlichkeitswettbewerb Chancen hätte, fängt als Gärtner an bei James Whale, den seine ungarische Haushälterin Mr. Jimmy nennt. Er steigt auf zum Modell des Malers, als der sich Whale nach seinem Rückzug aus dem Filmmilieu übt und stilisiert. So verstricken sich die Geschichten der beiden Männer. Clayton Boone, der junge Mann, glaubt selbst, keine Geschichte zu haben oder erzählen zu können; in einem luziden Moment ironisiert er seine schwebende Existenz zwischen Trailer Park und grünen Jobs als „Thoreau mit Rasenmäher“. Er wird keine große Nummer in diesem Film, sondern bleibt der irgendwie groß gewordene All-American-Boy, der sich vor Homosexualität fürchtet und einst zur Marine ging, um an etwas teilzuhaben, das „größer ist als ich selbst“. Dieses Größere findet er nun in der Figur des Jimmy Whale. Die liebevolle Seite des Bio-Pics um Whale liegt darin, Boones Einfachheit nicht zu schablonisieren; im Gegenteil, sie wird elaboriert.

Um so deutlicher tritt der Exzentriker Whale in Erscheinung, ein Junge aus der englischen Arbeiterklasse, Jahrgang 1896, dessen erste Männerliebe in den Schützengräben des Krimkriegs ihren nekrophilen Schauplatz findet. In der Begegnung mit Boone verstrickt sich Whale in sentimentale Erinnerungen und bittere Abrechnungen mit dem Milieu Hollywoods; die besten Homowitze über die Szene um George Cukor verfehlen den properen Zuhörer – den Gärtner Boone – um Meilen.

Eine der besten Szenen spielt am Tresen einer Bar, in der einige jüngere Erwachsene – unter ihnen Clay Boone – den tausendsten Rerun von „Frankensteins Braut“ sehen und rätseln, ob es Horror ist oder Komik, und ob beides sich ausschließt. „Gods and Monsters“ beantwortet die Frage insofern, als man die Frankenstein-Figuren als frühen Camp zu begreifen versteht, mit einer abgründigen Message: Nicht das Monster ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der es lebt.

In der ersten Hälfte des Films werden die Grunddaten der Biografie Whales manchmal etwas volkshochschulmäßig nachgetragen; die zweite Hälfte macht ein bisschen aufdringlich auf Wahnsinn vor dem Tode. Wie auch immer: Wenn man schon die Perspektive eines vereinsamten Kreativen einnimmt, der nach seinem ersten Schlaganfall die Gespenster der Vergangenheit heraufziehen sieht, bleibt „Gods and Monsters“ entschieden auf der Seite der Aufklärung. Die Fünfzigerjahre dienen als Vehikel, um das Gefälle zwischen den exzentrischen Wurzeln der Unterhaltungskultur und der nahezu unbegreiflichen Normalität ihrer Konsumenten herauszukehren.

Hollywood pflegt eben seine Geschichte; und mit Clay, dem Gärtner, muss man zugeben, dass es wirklich eine ist. Die überraschendsten Szenen zeigen Whale am Set von „Frankensteins Braut“, wie er mit kleinen Scherzen seine Darsteller dazu bringt, ein von ihm selbst überzogen entworfenes Maskenspiel mit dem nötigen Ernst aufzufüllen, der dann wieder geladen ist mit Witz; sofern man begreift („flaming queens we are“).

Jimmy Whale gibt vielleicht nicht so viel her wie Francis Bacon; aber mehr als dessen biografische Studie („Love Is The Devil“) ist der Film über Whale eine komplette Erzählung, deren Herkunft aus einem Roman spürbar bleibt. Das Porträt des Mannes lebt von Ian McKellen, dessen lüsterne Gebrochenheit sogar unabhängig vom Frankensteinmotiv einen genauen Blick wert ist; der Modus bleibt fragend, ähnlich wie von Praunheims Sicht auf Magnus Hirschfeld, oder das englische Porträt Oscar Wildes. Die Möglichkeiten, homosexuelle Lebenswege auszudeuten, sind offenbar gereift. Dass es dabei keine Altersgrenze gibt, ist wesentlich. Das expliziert auch „Gods and Monsters“: Die schönsten Ärsche kennen wahrscheinlich nicht die besten Geschichten.

„Gods and Monsters“. Regie: Bill Condon. Mit Ian McKellen, Brendan Fraser u. a., USA 1998, 105 Min.