Spektakel der Ratlosigkeit

Im Zeitalter der Globalisierung ist die Weltausstellung Expo ein Anachronismus. Die Länder präsentieren Reiseprospekte zum Anfassen, während die Themen der Zukunft nicht gezeigt werden

von ULRIKE HERRMANN

Es gibt Ereignisse, die muss man in Deutschland kennen. Jedenfalls glaubt dies Norbert Blüm und hat sie einmal aufgezählt: die Kaiserkrönung Karls des Großen, Luthers Reformation, Goethes Faust, Stalingrad. Und nicht zuletzt die Fußballweltmeisterschaft von 1954, der Sieg gegen Ungarn. „Wir sind wieder wer!“ Was Blüm noch nicht erwähnen konnte: die Expo in Hannover. Schließlich lässt sie sich nur schwer schon vorab auf ihre Legendentauglichkeit prüfen.

Dies würden die Organisatoren jedoch sicher gern nachholen, sobald sich ein plausibles Jubiläum nähert. Denn man hat sich in Hannover redlich angestrengt, ein positives nationales Symbol zu schaffen, das Karl den Großen und die WM-Titel würdig fortsetzt. Die Expo soll die besondere Leistungskraft und die Zukunftskompetenz der Deutschen ausstellen. Nicht umsonst hat man sich ausgerechnet das Jahr 2000 gesichert – gegen Venedig. Wenn schon der Standort Deutschland zum Vorbild ausgebaut wird, dann gleich für ein ganzes Jahrtausend.

Doch bisher strahlt die Expo keine Visionen aus – sondern vor allem Missmut. Seit sie als Idee 1988 entstand, wird fast nur in der Negation von ihr berichtet. Letzte Höhepunkte: Die USA nehmen nicht teil, Gewinne wird es nicht geben, sondern 400 Millionen Mark Verluste.

Meist wird diese Pleite der Expo-Chefin Birgit Breuel angelastet, dem Chaos in der Personalpolitik und bei den Finanzen. Das mag zwar wahr sein, vernebelt jedoch das zentrale Problem. Die Expo scheitert an ihrem eigenen Konzept – und darum ist der Misserfolg so unausweichlich. Unentrinnbar steckt die Expo in einem Paradox: Sie basiert auf einem Wettstreit der Nationen, denn ohne diesen nationalen Eifer würde es sie auch gar nicht geben. Gleichzeitig aber passen länderzentrierte Weltausstellungen nicht mehr in die Welt. Auch wenn es so parallel klingt: Weltausstellungen sind kein Kind der Globalisierung, sondern der nationalen Parzelle.

Dieser Anachronismus zeigt sich in Hannover als ein Anachronismus der Ungleichzeitigkeit. Offiziell will man gemeinschaftlich über die Zukunft der Menschheit nachdenken. Faktisch wird die Vergangenheit ausgestellt. Beim „Heiligen Stuhl“ ist noch nahe liegend, dass er die „älteste erhaltene Christus-Ikone“ aus dem 6. Jahrhundert nach Niedersachsen transportiert – schließlich gründet sich die gesamte katholische Kirche auf diese mythische Gestalt und ihre Geschichte. Doch sehr bemerkenswert ist, dass sich fast alle Länder präsentieren, als seien sie der Vatikan, als sei ihre Zukunft identisch mit dem Überkommenen.

Eine Auswahl in alphabetischer Reihenfolge: Von den Arabern ist zu hören, dass sie Kamele und Wüstensand mitbringen. Die Äthiopier stellen ein altes Menschenskelett aus, Australien imitiert sein berühmtes Korallenriff, Baden-Württemberg zeigt den ersten Benz, Bhutan baut eine buddhistische Tempelanlage auf, China präsentiert Teile der chinesischen Mauer, die Finnen pflanzen Birken, Griechenland symbolisiert die olympische Idee, Indien demonstriert Yoga, bei Irland fehlt weder das irische Bier noch die irische Musik, Island hat einen echten Geysir zu bieten, und Italien erstaunt mit der Idee, dass „Leonardo da Vinci das zentrale Thema des Expo-Beitrages sein“ wird . . .

Einzig der japanische Pavillon sticht heraus, weil er nur aus recycelbarem Papier bestehen sollte, bis die deutsche Bauordnung ein paar Stahlträger vorschrieb. Für fast alle anderen Länderpavillons gilt jedoch, dass sie den dreidimensionalen Reiseprospekt zum Anfassen erfunden haben. Wenn die Nationen aber nur noch Klischees ihrer selbst bebildern können, dann scheinen sie keinen Begriff mehr von sich zu haben – jedenfalls keinen, den man ausstellen müsste. Erst recht unvorstellbar ist, was eine nächste Expo zeigen könnte. Sie ist im Übrigen schon an das japanische Aichi vergeben. Es ist durchaus zu vermuten, dass sich dort dann „Michelangelo als der zentrale Beitrag Italiens“ betrachten lässt.

Die Expo in Hannover zeigt, dass die Nation nur noch Fiktion ist, wenn doch alle Staaten an den gleichen Innovationen für den globalen Markt basteln. So stellt die Expo vor allem konzeptionelle Ratlosigkeit aus. Und diese Ratlosigkeit setzt sich im Finanziellen fort. Denn als Geldgeber kommen nur der Staat (meist pleite) oder die Wirtschaft in Betracht. Und die ist desinteressiert. Denn anders als die angeblich globale Weltausstellung Expo agieren die potenten Firmen tatsächlich weltweit.

Es ist nicht nur eine dumme Ausrede, wenn die Teilnahme der Vereinigten Staten auch daran gescheitert ist, dass die Global Players nicht „in der Kaffeeküche des US-Pavillons auftreten“ wollten (so Oliver Neumann, Projektleiter des amerikanischen Pavillons). Würde schon merkwürdig wirken, wenn sich Microsoft, von uns allen benutzt, rein amerikanisch gerieren würde. Entsprechend ist es auch kein lustiger Zufall, dass wichtige Teile des länderübergreifenden Themenparks von deutschen Sparkassen finanziert werden. Sie sind nicht nur vor Ort, sondern nur dort. Sie sind der wahr gewordene „Standort Deutschland“. Da weltweite Geschäfte nicht stören, ist es gefahrlos möglich, die gute Sache Deutschland ernst zu nehmen und bei seinen Kunden aus der Nachbarschaft Hannovers zu werben. Gleiches gilt für den Zentralverband des Deutschen Handwerks, der einen Brunnen spendiert. Doch ist mit diesen regionalen Ressourcen keine Weltausstellung zu bestreiten.

Die Expo hat die Falle des Nationalen durchaus erkannt. Um das eigentliche Anliegen zu retten und doch noch irgendwo in Hannover über die Zukunft der Menschheit nachzudenken, wurde ein länderübergreifender Themenpark geschaffen. Er macht etwa ein Fünftel der Fläche aus. Allerdings wollte ihn niemand so recht finanzieren – wenn er nicht wie Continental das eigene Produkt, hier den Reifen, als Fluchtpunkt aller Entwicklung feiern darf. So degenerierte das Projekt zum spaßigen Freizeitpark, was Birgit Breuel nicht leugnet. Freimütig nennt sie etwa das Legoland als artverwandtes Vorbild. Nur: Wenn es das bewährte Amüsement schon gibt, und zwar frei finanziert – warum sollte dann der Staat 400 Millionen Mark verschwenden?

Wie überflüssig Weltausstellungen sind, zeigt gerade die eigentliche Innovation der Expo in Hannover: die Idee der „dezentralen Projekte“ – ein Gütesiegel für nachhaltige Konzepte. Da diese Vorhaben jedoch nicht in Hannover ausgestellt werden, sondern vor Ort bleiben, ist nicht einzusehen, warum die Auszeichnung eine angehängte Expo braucht. Der Umweltengel kommt ja auch ohne aus.

Wie die Nationalstaaten, so hat sich auch die Expo überlebt. Blüms Nachfolger werden im Jahr 2100 wahrscheinlich konstatieren, dass sie nicht zu den Ereignissen gehört, die man in Deutschland kennen muss. Weil es Deutschland nicht mehr gibt – und Expos auch nicht.

Hinweise:Fast alle Länder präsentieren Überkommenes, als sei es ihre ZukunftDie Expo in Hannover zeigt, dass die Nation nur noch als Fiktion existiert