Bauernproteste gegen Bayer

Ein verunreinigter Impfstoff soll die Ursache für das Rindersterben in den Niederlanden sein. 2.000 Tiere starben. Die betroffenen Landwirte fordern jetzt vom Hersteller Bayer Schadensersatz. Doch der Konzern will davon nichts wissen

„Ich bin 60. Neu anfangen kann ich nicht mehr“, sagt der Landwirt H. Haversteeg aus Zevenhuisen in Holland. 34 Rinder hat er durch einen verunreinigten Impfstoff verloren. Wenn der Hersteller, das Leverkusener Unternehmen Bayer, nicht schnell Schadensersatz leistet, ist die Existenz seines Hofes gefährdet. Deshalb fand er sich Mitte Januar gemeinsam mit 400 weiteren Betroffenen aus ganz Holland zu einer Protestaktion vor der Mijdrechter Bayer-Niederlassung ein. Die Bauern verriegelten alle Zugänge und erklärten das Firmengelände zur Gefahrenzone, da hier der todbringende Impfstoff produziert wurde.

„Verseuchtes Gebiet – Kein Zugang“ steht auf ihren Plakaten. Die zur Arbeit eintreffenden Belegschaftsangehörigen musste die Geschäftsleitung kurzfristig in einem nahe gelegenen Veranstaltungszentrum unterbringen. „Viele Höfe gehen durch den entstandenen Schaden kaputt“, erklärt Aaltje Dijkstra von der Initiative „Krank durch Bayer“. Und ihr Kollege Jan Adams erklärt: „Das Aktionskomitee verlangt lediglich, dass Bayer den Schaden begleicht, der den Bauern durch den Impfstoff von Bayer entstanden ist. Nicht mehr und nicht weniger.“ 1998 lieferte Bayer/Mijdrecht 3,4 Millionen Impfeinheiten Bayovac IBR-Marker Vivum aus. In einer der Chargen befand sich der äußerst aggressive Typ II des Durchfall-erregers „Bovine Virus Diarrhea“ (BVD), in sieben Chargen der weniger gefährliche BVD-Typ I-Bazillus. Insgesamt war ein Drittel der Impfstoffmenge verseucht. 7.000 Landwirte meldeten den Behörden Erkrankungen ihrer Tiere: Euter-Entzündungen, Durchfall und Fruchtbarkeitsstörungen, 2.000 Tiere starben.

Als die Landwirte die ersten Todesfälle meldeten, entzog die zuständige Behörde Bayovac sofort die Zulassung. Bayer zeigte sich zunächst schuldbewusst und zahlte 11 Betrieben eine Entschädigung. Dann aber nahm das Rindersterben immer größere Ausmaße an, und der Leverkusener Chemiemulti sah Forderungen in Höhe von mehreren Millionen Gulden auf sich zukommen. Darum änderte er seine Strategie. Jan Van Diest, Leiter des holländischen Tiergesundheitsbereichs von Bayer, erklärte plötzlich, dass es keine kausale Verbindung zwischen den toten Tieren und dem Bayer-Impfstoff gebe. Die entsprechende Entlastungsuntersuchung zauberte er auch gleich aus dem Hut. Trotzdem signalisierte man weiterhin Gesprächsbereitschaft. Aber die Bauern, die keine Zeit zu verlieren haben, gingen auf das Hinhaltespiel nicht ein. Ein Treffen mit Van Diest brachen sie nach einer halben Stunde ab, da er keine definitive Zusage über Schadensersatzzahlungen machte.

Statt hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, beschloss die Initiative „Krank durch Bayer“, mittels Protestaktionen den öffentlichen Druck auf das Chemie-Unternehmen zu erhöhen.

Im Februar platzten dann 150 holländische Landwirte in die Antwerpener Jubelfeiern zu „100 Jahre Bayer in Belgien“ hinein. Beim Galakonzert sorgten sie durch das Verteilen von gar nicht festlichen Flugblättern für gehörige Misstöne. Auf der Vorderseite war die Abbildung einer toten Kuh und darunter das Foto eines leblosen Kälberfötus zu sehen. Zwischen den beiden Bildern nur eine einzige kurze Textzeile: „Tod durch Bayer“.

Auch auf der Hauptversammlung des Konzerns Ende April gab es Proteste. Der Landwirt Jan Adams schilderte wie ihn der verunreinigte Impfstoff finanziell traf: Im November 1998 und einen Monat später noch einmal waren alle seine Kühe gegen IBR, die Rindergrippe, geimpft worden. „Zwei Wochen später“, so Adams, „traten die ersten Probleme auf. Als erstes bekam eine Kuh Lungenentzündung. Das Tier reagierte nicht auf die ärztliche Behandlung und verendete.“ Kurz darauf geschah das gleiche mit einer zweiten Kuh. Anfang 1999 hätten dann alle Kühe plötzlich Durchfall bekommen. Weitere Symptome kamen hinzu. „Die eine hatte Euterentzündung, andere hatten Klauenprobleme, Nasenbluten, Blutungen an den Eutern oder brachten tote Kälber zur Welt“, sagte Adams, „im Laufe des Jahres konnten wir dann Bilanz ziehen: 22 tote Tiere.“

Die holländische Landwirtschafts- und Gartenbau-Organisation LTO, die 110.000 Mitglieder vertritt, will Bayer jetzt vor Gericht bringen, um auf diese Weise Kompensationszahlungen zu erstreiten. Sie wird dabei nicht nur die Ansprüche der Bauern vertreten, denn der Impf-GAU hat der gesamten niederländischen Landwirtschaft schweren Schaden zugefügt. Der Molkereiwirtschaft wurde der Rohstoff Milch knapp, die Fleischproduktion sank, die Behandlung der kranken Tiere kostete Unsummen, und zudem musste das Impfprogramm zur Rindergrippe-Prophylaxe abgebrochen werden. Und noch ein zweites Verfahren steht an. Die nach dem Rindersterben gegründete Bauern-Organisation SIS (Stiftung IBR/BVD-Schaden) prozessiert, um Einblick in die Art und Weise zu erlangen, wie Veterinärimpfstoffe produziert werden. So hofft sie, den Schlampereien nicht länger hilflos ausgeliefert zu sein. JAN PEHRKE