Bereit für Aristides Wiederkehr

Offizielle Zahlen liegen noch nicht vor, doch hat die Lavalas-Bewegung des Expräsidenten Aristide die Parlamentswahlen in Haiti klar gewonnen. Jetzt hat Aristide beste Chancen, im November wieder zum Präsidenten gewählt zu werden

von TONI KEPPELER

Fünfzehn Tote im Vorfeld, zwei am Wahltag selbst und bislang einer danach – in Haiti nennt man das einen „überraschend friedlichen Wahlverlauf“. Und genauso überraschend wie die relative Ruhe ist das Ergebnis des vergangenen Sonntags, das sich nun langsam abzeichnet. Nachdem internationale Beobachter ihre Zahlen zusammengetragen haben, zeichnet sich im Senat und in der Abgeordnetenkammer eine absolute Mehrheit der „Familie Lavalas“ von Jean-Bertrand Aristide ab. Die Opposition erkannte deren Sieg am Mittwoch an. Offizielle Ergebnisse werden nächste Woche erwartet.

Umfragen vor der Wahl hatten Lavalas, die mit René Preval auch derzeit den Präsidenten stellt, allenfalls 30 bis 35 Prozent der Stimmen zugetraut. Falsch. Preval hätte die ganzen Tricksereien nicht nötig gehabt, die den Karibik-Staat bis an den Rand von Sanktionen der USA gebracht haben. Eigentlich hätte die Wahl nämlich bereits im November 1998 stattfinden sollen. Im Januar 1999 lief das Mandat von Senat und Abgeordnetenkammer aus und Preval schickte die Mitglieder beider Häuser nach Hause. Seither regierte er per Dekret und verschob die Wahl ein ums andere Mal – angeblich immer wegen organisatorischer Mängel. Alles deutete darauf hin, dass er es bis in den November hinein schaffen wollte. Dann wird ein neuer Präsident gewählt.

Aristide tritt wieder an. Er ist in Haiti noch immer so beliebt, dass in seinem Schlepptau auch parlamentarische Mehrheiten für Lavalas sicher schienen. Diese Mehrheiten gab es nun offenbar auch ohne das Zugpferd Aristide.

Lavalas ist längst keine Volksbewegung mehr, sondern ein Stoßtrupp im Dienst von Aristide und Preval, die inzwischen in noblen Privatanwesen wohnen. Ihre fanatischen Anhänger kommen überwiegend aus den Slums, und davon gibt es im ärmsten Land Lateinamerikas genügend. Die Mehrheit der einstigen Lavalas-Senatoren und -Abgeordneten aber verließ die beiden selbstherrlichen Autokraten und gründete die „Organisation des kämpfenden Volkes“ (OPL). Die hatte Preval bei der Wahl gefürchtet.

Besser hätte es für ihn und Aristide nicht kommen können. Mit einem neuen Parlament können die nötigen Gesetze verabschiedet werden, um etwa eine Milliarde Mark Entwicklungshilfegelder auszulösen, die seit Jahren auf Eis liegen. Preval kann so kurz vor der Präsidentschaftswahl noch ein Hilfsfeuerwerk für die Armen abfackeln.

Auch die internationalen Wahlbeobachter sind zufrieden. „Es sieht so aus, als müsse die Wahl in einigen Bezirken annulliert werden“, schränkt die Sprecherin der Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten, Mary Durran, zwar ein. Schließlich wurden in den Tagen nach der Wahl tausende von Stimmzetteln auf der Straße gefunden. Bewaffnete hatten ein paar Dutzend Urnen geraubt. Und in entlegenen Gegenden hatten die Wahllokale am Sonntag erst gar nicht geöffnet. Im Großen und Ganzen aber sei der Urnengang „glaubhaft“.