Die Bückeburger Dinos

■ Der „Bremer Stein“ ist Kult: Er ist ein Schlüssel zur Erdgeschichte und seit 600 Jahren Baustoff erster Güte / Ein neues Buch ergründet die lange Geschichte des Bremer Sandtsteins

Seit Jahrhunderten gilt der Sandstein aus Obernkirchen als Bremens edelster Baustoff. Bremer haben ihn deshalb kurzerhand zum „Bremer Stein“ deklariert und ihn unter diesem Namen in alle Welt vertrieben – vielleicht zeitgleich zum Bau der ehrwürdigsten Bremer Handelshäuser. Die erste Quittung jedenfalls stammt von 1407. Bremer Bauleute waren damals ins Herzogtum Schaumburg gereist, um in den Bückebergen den Stein für den Bremer Dom zu schlagen, der dann auf der Weser an den Lager- und Handelsplatz Bremen verschifft wurde. Viele Bremer Bauten und Fassaden sind noch heute aus dem Sandstein mit der markanten rötlich-gelben Flammung: Die heutige Handwerkskammer im Stil der Weserrenaissance, die Stadtwaage und neuerdings auch die Fassade des Cinemaxx. Sogar in der Haube des Roland steckt der Stein aus dem Weserbergland. Aber auch im Stein steckt einiges.

Eine Buch-Neuerscheinung mit dem Titel „Der Bremer Stein und die Dinosaurier“ macht jetzt auch Nicht-ArchitektInnen und Bauplanern deutlich, dass Obernkirchener Sandstein mehr ist als ein Material, für das Bauherren heute – als Fassadenplatte – pro Quadratmeter legendäre 150 Mark zahlen. Im Sandstein selbst liegen Legenden – von denen die Bremer Geologin Elisabeth Kuster-Wendenburg einige überraschend kurzweilige aufschrieb. Auf hundert Buchseiten verknüpft die Geologin die frühe Bremer Architektur mit den ersten erhaltenen Dinosaurier-Tapsen aus der Kreidezeit und den Anfängen der geologischen Forschung – um am Ende in der Mineraliensammlung der Universität Bremen zu landen, wo heute auch das „Krokodil von der Nordkredit“ lagert. Das spielte seine größte Rolle nach Kriegsende – als es sich bei Aufräumungsarbeiten der zerbombten Sandsteinfassade des Bankhauses Nordkredit aus einer zerschlagenen Fassadenfigur pellte. Heute ist es eines von vielen Stücken der Mineraliensammlung, die Bremer Kaufleute und Kapitäne zusammentrugen.

Den hanseatischen Sammlernaturen und ihren Fundstücken hat Elisabeth Kuster-Wendenburg ein eigenes Kapitel gewidmet. Darin schneiden die Bremer gut ab: Während im 18. und 19. Jahrhundert deutschlandweit der frühe Streit um die naturwissenschaftliche Systematik tobte, entwickelte Bremen einen eigenen Weg. Das hiesige Naturalienkabinett wurde zu einem gesellschaftlichen Event, dessen Zentrum ein Haus in der Neustädter Großen Johannisstraße darstellte. In einem von sechs Zimmern wurden Versteinerungen ausgestellt, während sich Interessierte in den vorderen Räumen zu Debattierzirkeln verabredeten, Sammler Exkursionen planten und frühe Investoren über neue Ankäufe von Gesteinssammlungen berieten – auf denen immer sorgfältigst vermerkt war, wo und wie sie in menschliche Hände geraten waren. Die Steine und die in ihnen eingeschlossenen, mineralisierten Spuren von früherem Leben, Knochen, Haifischzähne oder Farne, waren der Schlüssel zum Verständnis der Erdgeschichte – die systematisch ergründet wurde. Vom Bremer Lehrer August Jordan beispielsweise, der nicht nur den Fundus ordnete – sondern auf mühseligen Touren auch ergänzte.

„Besonders intensiv durchwanderte er die Gegenden des nörlichen Harzvorlandes, wo er die Ablagerungen aus dem Oberen Jura und der Kreidezeit studierte“, schreibt Kuster-Wendenburg. Allein 14 Tagestouren unternahm der Steinesucher in die Sottrumer Ziegeleigruben. Andere Fundstücke von Bremern stammen derweil – wohl nicht zufällig – aus den bevorzugten Urlaubsgebieten der damaligen Hansestädter, aus dem Harz, dem Deister, dem Teutoburger Wald. Ihnen verdanken wir heute die Erkenntniss, dass in der Unterkreidezeit vor 130 Millionen Jahren Herden von pflanzenfressenden Sauriern das Weserbergland bevölkerten. Ebenso wie deren Feinde – zu denen sicherlich das „Krokodil der Nordkredit“ gehörte.

ede

Der Bremer Stein und die Dinosaurier, Elisabeth Kuster-Wendenburg, Aschenbeck & Holstein Verlag 1999, Jahnstraße 37, 27753 Delmenhorst.