Eine Klassenfahrt nach Münster

■ Die neue Radstation der Uni-Stadt gilt als Vorzeigeprojekt / Taugt sie als Vorbild für Bremen?

Auf dem Bahnsteig bekommen alle eine Fresstüte: Zwei belegte Brötchen mit Camembert und Kinderkäse, ein Croissant, einen Apfel. Einen halber Liter Kakao im Tetra-Pack. Genug Proviant für eine Klassenfahrt nach Münster.

Die Männer und Frauen mit den silbernen Tüten in der Hand sind Bremer PolitikerInnen, Verwaltungsleute, VertreterInnen von Bahn & Bus und andere, die sich für die neue Radstation am Hauptbahnhof Münster erwärmen können. Natürlich auch mehrere Pedalisten vom ADFC. Eingeladen hat Michael Glotz-Richter vom Senator für Bau und Umwelt, lokaler „manager“ eines EU-Verkehrsprojekts, das Alternativen zum automobilen Verkehr befördern soll.

Seit Jahren wird in Bremen über ein solches Parkhaus diskutiert. Jetzt hat man sich in der Bürgerschaft auf ein Konzept verständigt, dass eine Station für 1.000 Räder auf der Südseite des Hauptbahnhofs vorsieht. Nördlich existiert bereits eine kleine Variante für 300 Räder. Die Einigung ist ein Kompromiss, da die CDU nur mitzieht, wenn auch ein Dutzend Pkw-Kurzzeitparkplätze geschaffen werden. Jetzt will man Pläne erarbeiten, damit die Baudeputation im Herbst auch was zum Gucken hat.

Beim Frühstück im IC verrät Gastgeber Glotz-Richter, was die Exkursion ins Westfalenland eigenlich soll. Ein bißchen „trommeln“ will er, zeigen, wie „hervorragend eine Fahrradstation funktionieren kann“. Die Münsteraner Lösung ist aus seiner Sicht tiptop.

Münster, Bahnhofsvorplatz: Dort, wo früher bis zu 4.000 Fahrräder ineinander verknäult waren, lagert jetzt ein monumentaler Keil aus Glas und Metall. Der frei stehende Baukörper (Entwurf: Brand & Böttcher) ist das hochgezogene Dach einer Fahrrad-Tiefgarage mit 3.000 dicht an dicht gepackten Stellplätzen. „Das wollen wir auch!“, entzückt sich Dorothea Ahlers vom Amt für Stadtplanung. Architektur und exponierte Lage würden den Stellenwert zeigen, den man hier dem Fahrrad beimesse. Die 280.000 Münsteraner legen 35 Prozent ihrer Wege per Rad zurück. (Bremen: 22 Prozent)

Über eine lange Rampe tappen die Fußgänger aus Bremen hinab zur Parkebene. Für eine Mark am Tag kann man hier sein Fahrrad sicher und trocken unterbringen; es gibt einen „Radshop“ mit Reparaturbetrieb, 100 Mieträder und die Fahrradwaschanlage, die zur Zeit leider noch defekt ist. Ansonsten scheint alles in Butter: Schon kurz nach der Öffnung soll die Auslastung der Radstation, die ein privater Pächter mit fünf Vollzeitkräften betreibt, bei über 60 Prozent gelegen haben, mittlerweile gibt es 2.300 Dauerparker. Und auch die Finanzierung hat die Stadt Münster elegant gelöst, wie einer ihrer Mitarbeiter freudig erregt berichtet: Von den 13 Millionen Mark berappte gut die Hälfte das Land NRW, der Rest stammt von Ablösebeträgen für Kfz-Stellplätze (!). Auch die Begehrlichkeiten der Münsteraner CDU nach Park- und Straßenraum konnte man noch erfolgreich abwehren – bevor 1999 im Rathaus aus Rot-grün wieder Schwarz wurde.

Nur das gute alte Fahrrad-Chaos hat die Radstation noch nicht ganz abgeschafft. An manchen Tagen erbeuten die Kontrolleure in der Bahnhofsgegend rund 60 Räder. 1.800 parken zur Zeit im Arsenal der Stadt und warten auf ihre Besitzer – oder auf die Versteigerung.

Zurück ins Tiefparterre. Der einzige CDU-Mann der Bremer Radgaragen-Touristen, Mathias Henkel, nestelt an einer der vielen Aufhängevorrichtungen, die die Fahrräder mittels Gasdruck leise zischend unter die Decke befördern. „Gute Sache“, urteilt der Ex-Münsteraner, Bremer Bürgerschaftsabgeordneter und „Qualitätsmanager“ der BSAG. Ansonsten fühlt er sich etwas einsam in der Gruppe, die er als „einseitig“ empfindet. Denn der Christdemokrat denkt auch an seine automobilen Wähler: Pkw-Parkplätze müßten schon sein, sagt er.

Und damit ist er mittendrin in der Bremer Diskussion: Während die einen den Kompromiss mit der CDU gutheißen und sich freuen, dass die „ekelhafte Hängepartie“ endlich vorbei ist (Carsten Sieling, SPD), klagen Kritiker wie Bernd Scheda vom Kulturzentrum Lagerhaus, dass das Bremer Drei-Millionen-Ding als Flop konzipiert ist – zu klein, um sich zu rechnen, zu wenig entwicklungsfähig in Sachen Service. Über die Nachfrage gibt es unterschiedliche Ansichten: In Bremen hat der ÖPNV eine größere Bedeutung als in Münster.

Der Eingang der Station, die im Rahmen der Bahnhofsplatz-Umgestaltung finanziert und von der Brepark betrieben werden soll, wird sich zwischen dem Empfangsgebäude des Bahnhofs und dem westlich davon gelegenen DB-Ämtergebäude befinden. Wegen der Kurzzeitparkplätze müsste sich die Station in die Ecke drücken, bei Bedarf soll – vielleicht – angebaut werden. Die Befürchtung: ein Verkehrschaos aus Autos, Bikes und Fußgängern, ausgelöst durch den Parksuchverkehr.

„3. Wahl“, meint Architekt Scheda, der für den Verein ÖkoStadt einen – weit großzügigeren – Entwurf skizziert hat. Und so bleibt auf der Rückfahrt nach Bremen, die Fresstüten sind leer, der Hunger nach mehr. hase