Kein Frischfleisch für die Partei

Der Gewinn von Nachwuchs ist für die PDS nicht erst seit Münster eine Überlebensfrage. Und es gibt eine parteinahe Jugend: Vor einem Jahr wurde der parteinahe Jugendverband „solid“ gegründet. Doch an Personalpolitik und Papierkrieg sind die jungen Sozialisten gar nicht interessiert

von ANDREAS SPANNBAUER

„Berliner Bildungspolitik ist Mist“, steht auf dem Transparent, das die jungen Leute vor dem Roten Rathaus in Berlin-Mitte hochhalten. Zur Bestätigung leeren sie einen ganzen Anhänger der betreffenden Substanz auf den Boden. Der Protest verläuft freilich in geregelten Bahnen: Um übermäßige Verschmutzungen des Asphalts zu vermeiden, hat man ein Laken untergelegt.

„Bildung statt Bil-Dung“, lautete das Motto der Aktion des PDS-nahen Jugendverbandes „solid“ am vergangenen Donnerstag. Eine der Mistlieferanten für den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ist Katja Haese. Die 20-Jährige ist eine der Mitbegründerinnen des bundesweiten Jugendverbandes, der vor einem Jahr, im Juni 1999 ins Leben gerufen wurde. Das Ziel: die Etablierung einer sozialistischen Jugendorganisation, die sich nicht in Personalpolitik und innerparteilichen Machtkämpfen aufreibt und trotzdem an der Seite der PDS zu Sonne und Freiheit schreiten soll.

Haese ist eine von vier Sprechern von „solid“ in Berlin. Der rustikal klingende Name steht für sozialistisch, links, demokratisch. Mit den halblangen blonden Haaren und der unauffälligen dunkelblauen Jeansjacke verkörpert Haese, die Soziologiestudentin, die sich für den Aufbau einer eigenständigen Jugendorganisation entschieden hat, allerdings kaum die Klischeevorstellung von politisch aktiven linken Jugendlichen. Auch mancher ihrer Genossen lässt sich auf PDS-Parteitagen lieber im Sakko als in Trainingsjacke sehen. „Entscheidend“, sagt Haese, „ist nicht das Outfit, sondern die Einstellung“.

Für die PDS mit ihrer überalterten Anhängerschaft ist die Bindung von jungen Wählerschichten und politischen Nachwuchstalenten zur Überlebensfrage geworden. Sollte dies nicht gelingen, hat der PDS-Intellektuelle Michael Brie seiner Partei für 2010 den „biologischen Tod“ prophezeit. Kein Wunder, dass sich PDS-Sprecher Hanno Harnisch über die Existenz der „parteinahen Jugendbrigade“ freut.

Doch eine „Kampfreserve der Partei“ soll „solid“ auf gar keinen Fall sein, lautet der Gründungskonsens. Schließlich will man mit dem sozialistischen Jugendprojekt genau jene linken Jugendlichen erreichen, die von der großen Politik nichts oder zumindest noch nichts wissen wollen. „Parteipolitik ist für Jugendliche unattraktiv“, meint Sprecherin Haese. Sie will mit „solid“ grundlegende linke Theorien an Teenager und Twens vermitteln und mit Sommercamps, Konzerten oder anderen Aktionen zum Aufbau einer linken Jugendkultur beitragen. Solide antifaschistisch protestierte man beispielsweise im Februar gegen einen Talkshow-Auftritt des Österreichers Jörg Haider in Berlin.

„Wenn die Linke nicht junge Menschen für Politik gewinnt, kann sie sich ihre Zukunft abschminken“, sagt die „solid“-Bundesvorstandssprecherin Sandra Brunner. Nach dem Parteitag von Münster, auf dem der Vorsitzende Lothar Bisky und Fraktionschef Gysi ihren Rücktritt erklärten, ist diese Frage drängender denn je.

„solid“-Sprecherin Haese hält die Krise, die die PDS „politisch fast den Kopf gekostet hat“, allerdings für hausgemacht. „Der Bundesvorstand hat es systematisch versäumt, mögliche Nachfolger aufzubauen.“ Gleichzeitig teilt Sprecherin Haese in Sachfragen die Forderung der Parteispitze nach einer Einzelfallprüfung von UN-Militäreinsätzen, fordert aber klare Kriterien. Ihr Fazit aus Münster: „Die Parteiführung muss jünger und gleichzeitig politisch kompetenter werden.“

Der Typ des dynamischen politischen Senkrechtstarters aber steht bei „solid“ nicht immer hoch im Kurs. „So mancher, der auf dem freien Markt keine Chance mehr hat, spekuliert heute auf eine Karriere in der PDS“, schränkt Haese ein. Eine ähnliche Diagnose hatte vor kurzem auch der scheidende Vorsitzende Bisky seiner Partei gestellt.

Vielleicht ist es gerade der vorläufige Verzicht auf eine Karriere als Berufspolitiker, der dafür sorgt, dass bei „solid“ auch deutlichere Worte gegenüber der PDS fallen. So wird in der PDS-finanzierten „solid“-Zeitung mit dem etwas traditionalistischen Titel Die Ware die PDS schon einmal als „Partei des dahinsiechenden Sex-Appeals“ und „Interessenvertretung des sächselnden kleinen Mannes“ gedisst.

Vorbehalte gibt es auch bei der anderen Seite. Prompt bemängelten kurz nach der Gründung von „solid“ junge PDS-Politiker wie der Bundesjugendreferent Stefan Grunwald oder der Jugendpolitische Sprecher des Berliner Landesvorstandes, Michael Grunst, die Jugendarbeit ihrer Partei. Die PDS müsse sich auf die „Gewinnung von neuen Mitgliedern und Entwicklung von Funktionsträgern“ konzentrieren, statt die „Avantgarde einer neuen, linken Jugendbewegung“ zu spielen.

Verkrustete Strukturen und fehlende Eigeninitiative sind für „solid“ die entscheidenden Nachteile des PDS-Parteilebens. Im Jugendverband soll das anders sein: Mit zumindest für PDS-Verhältnisse modernem Layout und rebellischen Sprüchen wie „Lassen wir uns nicht gefallen, was uns nicht gefällt“ oder „Kapitalismus kaputtmachen“ wollen die „solid“-Genossen ihre Altersgenossen für die Linke gewinnen.

Ein Unterfangen, das nach einem Jahr zumindest quantitativ von kleinen Erfolgen gekrönt ist: Immerhin 70 Mitglieder hat „solid“ in Berlin, 80 sind es in Hessen, um die 300 in der gesamten Bundesrepublik. Mit besonderem Stolz verweist man auf sieben Landesverbände in Westdeutschland. Die Zahl der Gründungsmitglieder rekrutierte sich außerdem zu 50 Prozent aus den alten Bundesländern. Ein Phänomen, von dem die PDS bislang nur träumen kann. Bei „solid“ hingegen scheint der „Aufbau West“ im kleinen Maßstab zu glücken.

Kulturelle Verständigungsleistungen mit der Mutterpartei stehen dagegen noch aus. Etwa wenn ältere Damen auf dem jüngsten PDS-Parteitag im Schöneberger Rathaus mit strengen Blick und der Frage „Machen Sie das zu Hause auch?“ die Jungen zur Ordnung rufen, weil deren Schuhe kurzzeitig die Sitzbezüge der rot gepolsterten Sofas berührt haben.