: Subkulturelle Spurensuche
Historisch genau, aber ohne Retrogefühle: Schorsch Kamerun inszeniert Fichtes „Die Palette“ am Schauspielhaus ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Musik, Drogen, Sex, Rausch, Ereignis ... Wenn das alles zu Literatur wird, herrscht dann immer schon Katerstimmung? Die schlechte Laune, die von den meisten Popkultur-Romanen der letzten Jahre verbreitet wird, legt diesen Schluss sehr nahe. Da ist auch Rave von Rainald Goetz nicht auszunehmen.
Schorsch Kamerun hat jetzt zusammen mit Stefanie Carp einen der Romane, die von Kneipen und Clubs handeln, für das Hamburger Schauspielhaus inszeniert. Die Vorlage, Hubert Fichtes Die Palette, ist allerdings über 30 Jahre alt. Dabei hat Kamerun, für viele sicher überraschend, nicht versucht Fichtes Aufzeichnungen aus der Palette in den Pudel Klub zu überführen. Er hat statt dessen über eine Recherche vergangener Zeit recherchiert, hat eine Suche nach den Wurzeln des Unangepasstseins in Deutschland daraus gemacht.
Als das Buch 1968 erschien, war die Palette in der ABC-Straße schon seit drei Jahren geschlossen. In den zwölf Jahren davor hatte sie sich zum zentralen Treffpunkt der sogenannten Gammlerjugend in Hamburg entwickelt. Fichte hat allerdings keinen melancholischen Abgesang geschrieben, es gebe schließlich andere Lokale, die der Palette ähnlich sind, und „mit den Palettianern geht es immer weiter“. Kamerun hat sich, wie Fichte selbst, bei der Übersetzung des Stoffs bemüht, der Unmöglichkeit einer naturalistischen Wiedergabe Rechnung zu tragen. Dafür spricht schon allein das minimalistisch gehaltene Bühnenbild von Nina Wetzel, das nicht der siffigen Kneipe nachempfunden ist. So stellt man sich eher das Wohnzimmer eines Innenarchitekten der sechziger Jahre vor. Und auch wenn die Kostüme von Claudia González einigermaßen „sixties“ sind, setzt das Stück nicht auf Retrogefühle. Und es exotisiert auch nicht die Szene der damaligen Outlaws.
Die ausgewählten Textpassagen werden, so dialogisch wie bei Fichte festgehalten, von unterschiedlichen Sprechern vorgetragen. Das spröde Verfahren der szenischen Lesung rückt das Gesprochene dorthin, wo es hingehört, und das ist unüblich genug im Theater: in die Vergangenheit. Ein echtes Highlight ist der Auftritt des ordentlich gekämmten Thomas Ebermann als „ein staatstragendes Mannsbild“ im Maßanzug. Er montiert Zitate aus der Zeit der Palette über die „Verkommenheit der Jugend“ und die „Schädlichkeit homosexueller Ausschweifungen“ zu einer Art Politikerrede und macht deutlich, was sich im Buch aus heutiger Perspektive kaum findet: den Kontext eines Aufbegehrens, das sich '68 auch politisch entlud.
Doch obwohl die Inszenierung auf falsche Authentizität zugunsten historischer Genauigkeit verzichtet, ist bei der Übertragung ins Theater offenbar etwas in der Pipeline geblieben. Das betrifft vor allem die Sprache. Schon der Roman stilisiert, wie könnte er anders, den Slang der Palettianer. Wenn aber professionelle Schauspieler die Grammatik im subkulturellen Alltag gesprochener Sätze mit eintrainiertem Duktus vortragen und noch dazu theatralisch intonieren, dann macht sich nur noch Befremden breit. Mit diesem Problem kämpfte jüngst auch eine Kampnagel-Inszenierung von Feridun Zaimoglus Koppstoff (Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft). Der Reiz, den eine eigene Sprache für Subkulturen hat, die Weigerung, sich der Gesellschaft der Anpassbaren verständlich zu machen, geht dabei völlig verloren.
Interessanterweise wirkt der Slang hier am wenigsten verhochsprachlicht, wenn das Gesprochene, selten genug, von der Vorlage abweicht oder ein Laie spricht. Das gilt für die Off-Stimme von Rocko Schamoni ebenso wie für die Darbietungen Jens Rachuts, besonders, wenn der als Arnim einen Wutanfall mimt und dabei haufenweise unartikulierte Grunzlaute von sich gibt. Und nicht umsonst war es anschließend seine schräge Gesangseinlage „Ich spiele Fußball mit meiner Seele“, die einem Teil des Premierenpublikums den Kragen platzen ließ. Die Grenzen des guten Geschmacks hat Kamerun also glücklicherweise trotzdem überschritten.
Weitere Aufführungen: 4., 14. bis 16., 25. Juni, 3. und 11. Juli, jeweils 21 Uhr
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