Patriarchaler Müll

Bela Bartoks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ wurde erstmals in Hamburg aufgeführt  ■ Von Dagmar Penzlin

Am Ende fügt sich Judith. Sie trägt das Kopftuch, das Blaubart ihr umbindet, sie nimmt den grauen Müllsack und watet durch den Abfall wie die früheren Frauen des Herzogs. Judith – eine moderne Trümmerfrau auf der Müllhalde patriarchaler Selbstherrlichkeit und Zerstörungswut. Peter Kon-witschny verweigert sich also der melancholischen Apotheose, mit der Bela Bartoks männliches Seelengemälde Herzog Blaubarts Burg ursprünglich endet. Der Regisseur bürstet den Einakter vielmehr gegen den Strich und fördert beunruhigend aktuelle Wahrheiten zu Tage. Auch wenn er sein Konzept bereits 1987 in Kassel und 1991 in Basel so oder so ähnlich auf die Bühne gebracht haben mag und somit die Neuinszenierung von Bartoks Werk an der Staatsoper im Grunde wohl mehr eine Neueinstudierung ist: Die Hamburger Premierenaufführung am Sonntag bot 60 Minuten spannendes Musiktheater vom Feinsten und war zugleich die Erstaufführung der Oper in der Hansestadt.

Zu Beginn ist Blaubarts Burg ein gotisches Gewölbe (Ausstattung: Helmut Brade). Der hohe Raum schindet Eindruck, auch wenn das Gitterbett auf Rollen und der nüchtern weiße Kühlschrank wenig repräsentativ wirken. Blaubart hockt an seiner Schreibmaschine. Ein Mann des Wortes, ein Künstler. Judith steht zunächst herum, versucht sich Blaubart zu nähern, posiert vor ihm, indem sie den Lichtkegel der Schreibtischlampe auf sich richtet, ihren schwarzen Lackmantel aufreißt und sich im roten Kleid zeigt.

Ein Kinderlachen aus dem Off. Das Türenöffnen beginnt und damit Blaubarts Seelen-Striptease. So stößt ein Kind die Türen zur Folter- wie zur Waffenkammer auf – Müll quillt jeweils ins Gewölbe, der Herzog holt sich aus dem Kühlschrank sein Dosenbier; die Schatzkammer öffnet ein alter Mann von innen, Typ Hausmeister mit Taschenlampe. Den Blumengarten zaubert der Burgbesitzer selbst herbei mit Hilfe einer verspiegelten Diskokugel. Schließlich gehen die Wände hoch und geben den Blick frei auf ein Meer von Müll. Doch Blaubart tut so, als zeige er Judith etwas Wunderschönes. Mit ausladenden Gesten dirigiert er dabei die Blechbläser, die im Abfall sitzen. Doch von all diesem Imponiergehabe lässt sich die Frau nicht blenden. Sie weiß um den Preis, den das alles hat, sie ahnt die Leiden der Opfer – und wird selbst Blaubarts nächstes: Brutal vergewaltigt er sie. Wer diesem Mann zu nahe kommt, wer so furchtlos ist wie Judith, muss gebrochen werden.

So erzählt es jedenfalls Kon-witschny. Der Regisseur hat sich von allem Ballast des Originals befreit, hat die Szenenanweisungen wie die detailliert beschriebene expressionistische Lichtregie beiseite gelassen und ist konsequent seiner Lesart des Stücks gefolgt. Die sieben Türen und ihre Zimmer spiegeln hier nicht nur metapherngleich Facetten von Blaubarts Wesen wider, sondern kommentieren diese zugleich. Doch im Grunde kon-zentriert sich die Inszenierung ganz auf ihre beiden Protagonisten.

Und darstellerisch wie stimmlich überzeugend liefern sich Robert Hale und Ildiko Komlosi einen furiosen Kampf der Geschlechter. Hale gibt Blaubart als ruppiges Raubein, als Machthungrigen mit Don-Juan-Allüren, dessen dämonische Fassade allerdings leicht zu wackeln beginnt. Hales Heldenbariton kann locken wie herrschen und bleibt der Partie nichts schuldig. Ebenso packend gestaltet Ildiko Komlosi mit glühenden Farben in der Stimme ihr Porträt der Judith: Die ungarische Mezzosopranistin zeigt eine leidenschaftliche Frau, die keine Angst hat, Grenzen zu überschreiten, in der Liebe wie im Finden der Wahrheit. Doch einmal unter Blaubarts Bann stehend, muss sie sich unterordnen, auch wenn sie im Grunde die Stärkere ist.

Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters waltete Ingo Metzmacher. Bartoks Musik wuss-te er in ihrer Komplexität auszuloten, wobei der Hamburger Generalmusikdirektor mit seinem Orches-ter in den brachialen Momenten des Werks mutig bis an die Grenzen des Erträglichen ging. Ohne Frage: Hier trägt ein Dirigent das Konzept des Regisseurs.

Die Zuschauer am Premierenabend ließen sich nicht davon abhalten, den Ausführenden wie dem Regisseur und seinem Ausstatter ausgiebig zu applaudieren. Irgendwie irritierend einmütig, denn sonst spalten Konwitschny-Inszenierungen das Publikum. Ein dritter Aufguss wirkt wohl versöhnlicher.

weitere Vorstellungen: heute, 3. und 6. Juni, 19.30 Uhr, Staatsoper