Ich geb Gas, ich will Streit

Ein Thesenpapier zur Autopolitik erregt die Grünen. Und demonstriert, dass Rezzo Schlauch die Bundestagsfraktion nicht unangefochten beherrscht

von MATTHIAS URBACH
und TINA STADLMAYER

Die Aufmerksamkeit der Medien erregen? Kein Problem: Man breche ein Tabu. So machte es am vergangenen Freitag der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch gemeinsam mit den beiden Fachpolitikern Albert Schmidt und Michaele Hustedt. „Grüne entdecken das Gute am Auto“, hieß es etwa auf Seite 1 der Welt, und der Berliner Tagesspiegel titelte: „Grüne versöhnen sich mit dem Auto“. Schmidt und Hustedt freuten sich gestern im Griechenlandurlaub über diesen Erfolg: „Die Debatte über das Auto ist überfällig“, sagte Verkehrssprecher Albert Schmidt der taz. In den Regionen, wo man aufs Auto angewiesen sei, sehnten sich die Grünen-Mitglieder nach einer „ehrlichen Betrachtung des Autos“. Tatsächlich drangen die Beifallsbekundungen einiger grüner Landespolitker bis nach Griechenland durch.

Doch in der Bundestagsfraktion ist Reinhard Loske nicht der Einzige, der ungewohnt drastische Worte findet für die „Überanpassung“ der drei Fraktionskollegen. Auch Umweltpolitker Winfried Hermann hält nichts von dem Vorstoß. Mit dem „inszenierten Tabubruch“ habe man das gängige Vorurteil gegenüber den Grünen bestätigt: dass sie das Auto verteufeln. Dabei machten die Grünen „schon seit Jahren keine dumpfe Antiautopolitik mehr“. Mit der inszenierten Abkehr bestätige man „das nächste Vorurteil“, klagt Hermann: „Die Grünen passen sich immer an.“ Also diene das Papier nicht dem Image, sondern schade ihm.

Auch der Grüne Christian Ströbele, der wie Winfried Hermann zum linken Flügel der Fraktion zählt, ist nicht glücklich über Schlauchs Auftritt: „Sicherlich ist es so, dass viele Grüne – auch ich – Auto fahren. Trotzdem muss man das Auto nicht in dieser Weise hochjubeln.“

Dabei beschränkt sich der Ärger durchaus nicht nur auf die Inhalte des Thesenpapiers. Die für den Umweltpolitischen Sprecher Reinhard Loske so ungewöhnlich scharfe Reaktion resultiert auch aus der Haltung der grünen Fraktionsführung allgemein. Schon länger ärgern sich die Umweltpolitker, dass ökologische Themen vom Duo Rezzo Schlauch/Kerstin Fischer zu wenig aufgegriffen werden. Wenn sie es doch mal tun, dann sei die Kernbotschaft eher unökologisch, heißt es aus Fraktionskreisen. Etwa beim Antistauprogramm wünschen sich einige Fraktionsmitglieder, die grüne Handschrift, nämlich mehr Geld für Bahnstrecken, wäre stärker betont worden, anstatt den Autobahnausbau so hervorzuheben.

Nicht nur Umweltpolitker sind unzufrieden mit Rezzo Schlauch. Schon länger wächst der Unmut gegen den Fraktionschef. Vielen, auch den eigenen Freunden im Realo-Lager, ist er zu behäbig. Sie werfen ihm vor, dass er es nicht schaffe, grüne Positionen kämpferisch nach außen zu vertreten. Andere wiederum kritisieren, er sei allzu erpicht darauf, ins Fernsehen zu kommen. Auch seine Kovorsitzende Kerstin Müller hat keinen guten Stand. Ihr werfen vor allem die Linken zu große Kompromissbereitschaft vor. Schlauch und Müller wollen bei den Fraktionsvorstandswahlen im Herbst wieder antreten. Die Begeisterung darüber hält sich in der Fraktion in Grenzen. Überzeugende Gegenkandidaten sind aber nicht in Sicht.

So könnte der aktuelle Auftritt auch der Versuch Schlauchs gewesen sein, Führungsstärke zu demonstrieren. Denn eigentlich hätte er es nicht nötig, ein derart brisantes Thesenpapier in die Öffentlichkeit zu werfen, ohne die Fraktion oder zumindest die betroffenen Fachpolitiker zu informieren.

Nun haben die Grünen jedenfalls ein weiteres spannendes Thema auf der kommenden Bundesdelegiertenkonferenz in drei Wochen in Münster. Für die von den Autoren gewünschte Debatte ist das 9-Thesen-Papier freilich etwas dünn. Das Schwergewicht liegt auf der Wasserstofftechnik, dem Auto der Zukunft. Zu den aktuellen Problemen, Lärm, Zerschneidung von Städten und Landschaft, dem Ausbau von Bus und Bahn, sei dort wenig zu lesen, kritisiert Hermann. Da gebe es „zu viele Plattitüden“. Schmidt verteidigt das Papier. Ausführliche Papiere, etwa zum Ausbau der Bahn, gebe es ja genug. Man habe bewusst den Akzent auf das Auto der Zukunft gelegt. „Ich sehe nicht ein, warum wir die Debatte darüber den Stoibers und Clements überlassen sollten“, sagt Schmidt, „um selbst mit einem Zahnwehgesicht daneben zu stehen.“