Urteil für Todeswette

Siebeneinhalb Jahre Haft für Meißner Gymnasiasten, der seine Lehrerin erstochen hat. Die Schule leidet noch immer unter den Folgen der Tat

BERLIN taz ■ Seit zehn Minuten läuft der Unterricht. Da stürmt ein Maskierter in den Klassenraum, rennt auf die Lehrein zu, sticht mit zwei Küchenmessern insgesamt 21-mal auf sie ein. Schwer blutend schleppt sich die Geschichtslehrerin Sigrun Leuteritz auf den Flur. Dort stirbt sie in den Armen eines Kollegen. Der Obduktionsbericht wird später einen Stich ins Herz als Todesursache angeben.

Rund ein halbes Jahr nach dem Schülermord am Meißner Franziskaneum sprach gestern die Große Jugendkammer des Landgerichts Dresden ihr Urteil über den 15-jährigen Angeklagten: Andreas S. wurde des heimtückischen Mordes für schuldig gesprochen und zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Totschlag im minder schweren Fall plädiert.

Zugrunde liegt dem Urteil eine Sachverständigeneinschätzung, nach der Andreas S. zum Tatzeitpunkt psychisch erheblich gestört gewesen sei. So habe es nicht ein Tatmotiv – wie der Vorsitzende Richter darlegte –, sondern ein Bündel von Motiven gegeben, die den als in seinem Sozialverhalten unauffälligen Jugendlichen zu seiner Tat bewogen hätten. Ein wichtiger äußerer Anlass sei eine Wette zwischen Täter und mehreren Mitschülern gewesen, die am Vortag geschlossen worden war: 1.000 Mark Einsatz dafür, dass sich Andreas S. traut, die als streng eingestufte Geschichtslehrerin während des Unterrichts zu töten. Die Jugendkammer hatte die zuvor ungeklärte Existenz dieser Wette bestätigt.

Mehr als 50 Journalisten und ein knappes Dutzend Kamerateams versuchten gestern im Foyer des Landgerichtes, an relevante Informationen und Bilder zu kommen. Vergeblich: Der gesamte Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Insgesamt 23 Zeugen waren geladen, darunter auch mehrere Lehrer des Franziskaneums und Schüler aus der Klasse von Andreas S.

Befrieden wird das Urteil das Meißner Gymnasiums nicht. Noch immer leiden viele Schüler und Lehrer des Gymnasiums unter Traumen und Angstzuständen, erklärt Experte Georg Pieper, den das sächsische Kultusministerium mit der Betreuung beaufragte. „Noch heute verfallen die Mitschüler von Andreas S. in Panik, wenn jemand laut die Tür öffnet.“ Pieper gilt als erfahrener Spezialist für posttraumatisierte Stressbewältigung. Er betreute unter anderem auch die Überlebenden der Zugkatastrophe von Eschede. Pieper: „Ein Drittel der Jugendlichen aus der Klasse, in der die Tat geschah, sind so schwer traumatisiert, dass ohne therapeutische Hilfe dauerhafte Schäden bleiben würden.“ NICK REIMER