: Funk im Schrank
■ Mit seinem digitalem Fake-Soul will der smarte Däne Raz Ohara verführen
Wenn Menschen nur partiell an musikalischer Gegenwartskultur teilnehmen, verrutscht das Bild leicht. Denn ohne strukturelles Verständnis erwachsen einzelne Erscheinungen gern und oft zu Phänomenen. Diese für Privatmenschen nur zu verständliche Haltung wird aber dann problematisch, wenn sie publiziert wird.
Im Falle des 24jährigen Europäers (dänischer Ursprung, lange Zeit in der Schweiz und seit dem 17. Lebensjahr in Berlin) Patrick „Raz Ohara“ Rasmussen übersprang etwa ein Rezensent der Süddeutschen Zeitung in seiner Euphorie eine ganze Dekade und dockt das Debüt des elektronischen Einzelgängers direkt an The Artist mittlerweile wieder known as Prince an. Was stimmt, ist: das Zusammenspiel aus Patricks Stimmbändern und seinen Effektgeräten hat in seiner nasal-flüchtigen Inbrunst einige Parallelen zu Prince. Aber wer ist Prince? Oder besser: wann war Prince? Liegen zwischen dem Prince, von dem hier die Rede ist und heute nicht zufällig 10 bis 15 Jahre, in denen sich nicht nur House, HipHop und Techno als Klang-Sprache so ausdifferenziert haben, dass mit elektronischen Mitteln erstellter Funk, Soul, Jazz (Rock, Punk etc.) ebenso sehr zu unserem Alltag gehört, wie er die Kategorisierungen ad absurdum führt? Und was ist mit dem „echten“ Funk, Soul, R&B seitdem passiert, mit Timbaland oder D'Angelo?
All dies – und hier verflechten sich die historischen Linien – steckt in Raz Oharas Debüt Realtime Voyeur, an dem der Überzeugungstäter ein halbes Jahr in seiner Küche gebastelt hat. Die im zeitgemäßen Sinne naheliegendste Parallele zu dem darin eingeschriebenen Anspruch, einen speziellen 70er-Vibe unter Berücksichtigung der seitdem vergangen Jahre ins Jetzt zu überführen, heißt Jimi Tenor, nur dass der mittlerweile ein komplettes Orchester zur Verfügung hat und seinen Funk bewusst im Kühlschrank lagert. Raz Ohara dagegen hat nichts und will alles, vor allem das, was dem digitalen Interface abgeht, nämlich Wärme und Körper (-Geruch, -Bewegung). Also singt er so verführerisch wie er eben kann und paart seine Vorliebe für analoges Keyboard mit wohlgewählten Sounds und Strukturen, die zum Besten gehören, was mit diesen Mitteln und diesem klar zielgerichteten Balz-Ansatz vorstellbar ist.
Verdammt lässig, verdammt schlau und verdammt effektiv. Wobei – letzteres kann ich nicht wirklich beantworten. Denn mit mir will der selbsternannte Sex-Maniac nicht ins Bett. Holger in't Veld
So, 4. Juni, Hafenklang, 22 Uhr
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