Handbreit Kultur unterm Kiel

Heute öffnet die MS Stubnitz ihre Schotten. Während des nächsten Monats dient sie als Veranstaltungsort für Konzerte und Lesungen  ■ Von Tobias Nagl

Einst war sie der Stolz aller Fisch essenden Werktätigen, heute ist sie ein Hort postsozialistischer Off-Kultur: die zum schwimmenden Veranstaltungsort umgebaute MS Stubnitz. Ihren Heimathafen in Rostock hat sie für ein traditionell wenig maritimes Ereignis hinter sich gelassen. Der Grund: Der dieser Tage in der Hansestadt stattfindende 94. Katholiken-Tag. Eingeladen vom Borromäusverein, dient der vor den Landungsbrücken ankernde, alte Fischtrawler von heute bis Sonntag als Forum für literarische, künstlerische und musikalische Events. Wer deshalb reflexhaft allein auf die in diesem Rahmen sonst übliche selbstgestrickte Klerikal-Kultur schließt, liegt dennoch voll daneben. Das umfangreiche Programm, das ohne kirchlichen Segen bis Ende Juni fortgesetzt wird, reicht von der digitalen Geräuschkunst eines Asmus Tietchens und Jandl-Lesungen über Improvisationskonzerte bis hin zu Deep-House, Raggamuffin oder Grindcore. Da lässt sich dann selbst über das Musical Josef – eine moderne Karriere hinwegsehen.

Die Geschichte der MS Stubnitz ist dabei so interessant wie das im nächsten Monat stattfindende Programm. Und eigentlich hat die MS Stubnitz ja auch zwei Biografien. 1964 vom VEB Volkswerft in Stralsund fertiggestellt und nach dem gleichnamigen Wald auf der Insel Rügen benannt, vereinte die 80 Meter lange Stubnitz erstmalig die Funktionen Fangen, Verarbeiten, Frosten und Transportieren von Fisch. Bis 1984 fischte die schwimmende Fischfabrik von Rügen aus im Baltischen Meer. Nach der Umstrukturierung der DDR-Fischereiwirtschaft wurde Rostock zur neuen Heimat des Trawlers. Bis vor die US-Küste und nach Grönland verschlug es das Schiff in den Jahren vor dem Mauerfall. Hier beginnt die zweite Geschichte der Stubnitz: Mit der DDR verschwand auch deren Fischereiflotte; die Schiffe selbst wurden verkauft oder verschrottet. Doch das Findelschiff Stubnitz hatte Glück, wurde 1992 von einer Initiative um den Schweizer Urs Blaser erworben, die das Schiff zum Kulturzentrum umbaute.

Seitdem hat sich das Kunstraumschiff weit über die Grenzen von Rostock hinaus einen guten Namen gemacht. Tobi und das Bo trafen dort auf DJ Coolmann, und nannten sich fürderhin Fünf Sterne Deluxe; kaum jemand aus Hamburgs Kultur- und Musikszene, der nicht in den letzten Jahren dort ein Gastspiel gegeben hätte. Ohne Schwierigkeiten lief das nicht immer ab, doch längst hat sich die Stubnitz etabliert: Selbst ordentliche Papiere sind inzwischen in ihrem Besitz, und auch die für eine überfällige Dockung des Schiffs nötigen 120.000 Mark konnten dank eines Zuschusses der Stadt Rostock Anfang des Jahres aufgetrieben werden.

Nahezu jeden Tag wird die Stubnitz im Juni ihre Schotten öffnen: Die ElbArt 2000 feiert dort ihren Abschluss, Kapitän Heinz Adler erinnert sich an die Hochseefischerei der DDR, die Kampnagel/Klub N+K-Macher bestreiten mehrere Abende, die Music For Our Chil-dren-Electro-Heads begehen ihren fünften Geburtstag auf dem Schiff und Ladomat sowie unzählige andere Hamburger Kleinlabels präsentieren ihr Schaffen.

heute – bis So, 4.6.: Landungsbrücken/Brücke 7; ab Mo, 5.6.: Übersehbrücke/Baumwall