: Ende des Alltäglichen
Auf dem Fernsehfest „Cologne Conference“ wurden wieder die „Top Ten des internationalen Fernsehens“ gekürt – eine kleine Werkschau der Gewinner
von HARALD KELLER
Um das abgelaufene Fernsehjahr angemessen zu würdigen, hätten sich eigentlich die Scheinwerfer auf Bart, Ruud und Willem, auf Tara, Sabine und Mona richten müssen. Als erste Bewohner des niederländischen „Big Brother“-Pavillons schrieben sie und ihre Mitstreiter Fernsehgeschichte.
Zur Aufnahme in die Liste „herausragender Fernsehproduktionen“ reichte ihre Pioniertat freilich nicht aus. Das Exportprodukt aus den Niederlanden fand keine Gnade vor den Augen der Auswahlkommission, die alljährlich im Rahmen der „Cologne Conference“ unter dem Titel „Top Ten“ zehn hochkarätige TV-Produktionen aus aller Welt präsentiert.
Das Niveau liegt deutlich niedriger als 1999
Das Gewicht liegt auf Erzählfilmen, Serien und Dokumentationen. Spielshows und andere, durchaus fernsehtypische Gattungen gelangen kaum in die Schlussauswahl. Zudem werden Programme bevorzugt, die eine reelle Chance haben, vom deutschsprachigen Markt angenommen zu werden. Novitäten aus Brasilien, Indien oder Japan sucht man hier vergebens.
Vieles, was in den vergangenen Jahren auf der „Cologne Conference“ vorgestellt wurde, war bereits von deutschen Sendern eingekauft worden oder gelangte später ins Programm: „Homicide“, „N.Y.P.D. Blue“ oder „Für alle Fälle Fitz“ wurden hier als deutsche Erstaufführung gezeigt. In diesem Jahr lassen sich vergleichbare Meilensteine nicht ausmachen, das Niveau liegt diesmal deutlich niedriger.
Eröffnet wird das Programm am heutigen Abend mit „Jenseits“, einem Film von Max Färberböck, der sich für drei Jahre an die ZDF-Produktionsfirma „Network Movie“ gebunden hat und nun den ersten aus dieser Zusammenarbeit entstandenen Film vorstellt. „Jenseits“ markiert so etwas wie ein Leitmotiv der diesjährigen „Top Ten“-Reihe – hier wie auch in der britischen Produktion „Trust“, dem niederländischen Fernsehfilm „De trein van zes uur tien“ („Der 6.10-Uhr-Zug“) und der US-amerikanischen Serie „Now and Again“ werden Menschen durch unerwartete, teils selbst verschuldete Ereignisse abrupt aus ihren geordneten Verhältnissen gerissen.
In „Jenseits“ begeht ein Staatsanwalt nach einem tödlichen Verkehrsunfall Fahrerflucht. In „De trein van zes uur tien“ wird ein arbeitsloser Kunsthistoriker zum Kidnapper, um einen überlegenen Mitbewerber um die begehrte Stelle eines Kurators am Amsterdamer Rijks Museum aus dem Rennen zu werfen. Genüsslich und nicht ohne Anflüge von Sadismus spielt der Autor und Regisseur Frank Ketelaar in seinem sehr konstruierten Psychothriller mit den Ängsten und Befürchtungen einer saturierten, kulturbeflissenen Klientel.
Thematisch verwandt, aber von größerem Raffinement ist der britische Zweiteiler „Trust“. Eine einfache Geschichte: Die Star-Anwältin Anne übernimmt die Verteidigung ihres Mannes, nachdem eine seiner Patientinnen ermordet aufgefunden wurde. Private und berufliche Belange sind bald nicht mehr zu trennen. Behauptungen und Anschuldigungen, Vorwürfe und Verdächtigungen sorgen für ein Klima permanenten Argwohns. Fahrstuhlschächte, Tiefgaragen und die lichte, auf Transparenz ausgelegte Wohnung des Ehepaars setzen visuelle Akzente, ohne die Inszenierung symbolisch zu überfrachten.
Mit fantastischen Elementen angereichert ist die US-Serie „Now and Again“, die bereits nach Deutschland verkauft wurde. John Goodman verkörpert im Pilotfilm einen Versicherungsangestellten, dessen Leben gescheitert scheint. Seine Ehefrau weist ihn zurück, im Büro wird er von einem jüngeren Kollegen ausgestochen. Auf dem Heimweg stürzt er vor eine einlaufende U-Bahn. Als er erwacht, findet er sich in einem geheimen Krankenhaus der Regierung wieder: mit neuem, rankem und technisch verbessertem Körper, aber seinem alten Verstand. So weit die Geschichte des Pilotfilms, der noch keine Rückschlüsse auf die Qualität der gesamten Serie erlaubt.
„Simpsons“-Nachfolger „Futurama“ geht an Pro7
Anders verhält es sich mit der Animationsserie „Futurama“ von „Simpsons“-Erfinder Matt Groening. Das Geschehen siedelt im Jahr 3000, aber Groenings Sticheleien gelten erneut der Gegenwart, wenn einäugige Grazien aus dem Mutantenstadel den Mann fürs Leben suchen und Space Cowboys in der Tradition eines Flash Gordon oder Captain Video zwanghaft ihre Männlichkeit beweisen müssen. „Futurama“ wird demnächst bei Pro 7 zu sehen sein.
Auch Arte war einkaufen und hat sich „Warriors“ gesichert, einem britischen Zweiteiler über vier Berufssoldaten, die im Zuge des UN-Engagements nach Bosnien entsandt werden. Geduldig entfaltet der Film zunächst das soziale Umfeld der Protagonisten und kontrastiert es mit den Erfahrungen im kälteklirrenden Bosnien. In pseudodokumentarischem Stil gefilmt, wirkt der auf Tatsachen beruhende Film beklemmend authentisch und lässt stellenweise seinen fiktionalen Charakter vergessen.
An das andere Ende der politischen Entscheidungskette führt „The West Wing“, eine prominent besetzte TV-Serie US-amerikanischer Herkunft über den Arbeitsplatz Weißes Haus, nah an der Wirklichkeit und mit satirischem Biss, aber ohne dümmliche Überzeichnungen im Stile von „Wie war ich, Doris?“. Anhand der mit atemberaubenden Plansequenzen aufwartenden, formal wie auch inhaltlich gelungenen Serie lässt sich einmal mehr der Nachweis führen, dass Deutschland in Sachen TV-Importe häufig den Nachzügler abgibt: Was hier noch der Entdeckung harrt, ist etwa in den Niederlanden bereits seit Monaten im regulären Programm.
Die Aufführungstermine der „Top Ten“ 2000 in Köln: „Jenseits“, Buch und Regie: Max Färberböck, mit Sylvester Groth, Ekatarina Medvedeva, Anja Kling, Freitag, 2. 6., 19.30 Uhr, Cinedom. „Predators“, Tierdokumentation, Samstag, 3. 6., 16.00 Uhr, Rheinterrassen. „La Verite vraie“, TV-Film, Regie: Fabrice Cazeneurve, mit Beatrice Dalle, Julien Rochefort, Samstag, 3. 6., 16.30 Uhr, Rheinterrassen. „The Midas Formula“, Dokumentation, Samstag, 3. 6., 17.00 Uhr, Rheinterrassen. „Trust“, Regie: David Drury, mit Caroline Goodall, Nathaniel Parker, Mark Strong, Samstag, 3. 6., 18.30 Uhr, Rheinterrassen. „Futurama“, Buch und Produktion: Matt Groening, und „Malcolm in the Middle“ mit Frankie Muniz, Samstag, 3. 6., 20.30 Uhr, Rheinterrassen. „De trein van zes uur tien“, Buch und Regie: Frank Ketelaar, mit Peter Paul Muller, Roland Fernhout, Samstag, 3. 6., 22.30 Uhr, Rheinterrassen. „Now and Again“, Buch und Regie: Glenn Gordon Caron, mit Eric Close, John Goodman, Sonntag, 4. 6., 17.30 Uhr, Rheinterrassen. „Warriors“, Regie: Peter Kosminsky, mit Ioan Gruffud, Matthew Macfadyen, Danien Lewis, Tom Ward, Sonntag, 4. 6., 19.00 Uhr, Rheinterrassen. „The West Wing“, Buch: Aaron Sorkin, mit Martin Sheen, Rob Lowe, Moira Kelly, Richard Schiff, Montag, 5. 6., 21.00 Uhr, Rheinterrassen.
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